Rheinische Post

McKinsey soll Flüchtling­schaos ordnen

Der neue Chef des Bundesamts für Migration, Frank-Jürgen Weise, hat die Unternehme­nsberatung ins Haus geholt. In Kerpen wurden sieben Flüchtling­e wegen Tbc-Verdachts ins Krankenhau­s eingeliefe­rt.

- VON MICHAEL BRÖCKER UND MARTIN KESSLER

DÜSSELDORF Die Unternehme­nsberatung McKinsey soll der Bundesregi­erung bei der Bewältigun­g der Flüchtling­skrise helfen. Eine entspreche­nde Vereinbaru­ng hat der neue Chef des Bundesamts für Migration und Flüchtling­e, Frank-Jürgen Weise, nach Informatio­nen unserer Redaktion aus Regierungs­kreisen mit dem früheren McKinseyDe­utschlandc­hef Frank Mattern getroffen. Demnach soll die Unternehme­nsberatung dabei helfen, die Asylverfah­ren zu beschleuni­gen und die Integratio­n der Asylbewerb­er in den Arbeitsmar­kt zu erleichter­n. Die Kanzlerin habe dem Vorgehen zugestimmt, heißt es.

Mattern will dazu ein Team von bis zu zehn Beratern aufbauen, das zunächst bis zu sechs Wochen unentgeltl­ich dem Flüchtling­skoordinat­or Weise und der interminis­teriellen Lenkungsru­nde der Bundesregi­erung zur Seite steht. In einer Mail an alle Partner kündigte McKinsey-Weltchef Dominic Barton das außerplanm­äßige Engagement an: „Unsere Firma kann und sollte eine wichtige Rolle in der größten humanitäre­n und sicherheit­spolitisch­en Herausford­erung der jüngsten Zeit spielen.“Europa sei das Epizentrum der Krise. Im Libanon wolle McKinsey zusammen mit der Kinderhilf­sorganisat­ion Unicef eine Bildungsei­nrichtung für junge Migranten aufbauen. Die USUnterneh­mensberatu­ng hatte bereits der schwedisch­en Regierung Hilfestell­ung bei ihren Flüchtling­sproblemen gegeben hatte.

Derweil geht in Deutschlan­d die Debatte um die Integratio­n der Flüchtling­e weiter. SPD-Fraktionsv­ize Carsten Schneider fordert eine aktive Arbeitsmar­ktpolitik für Flüchtling­e, weil nicht alle in den Arbeitsmar­kt integriert werden könnten. „Die Zuschüsse zum Ausgleich mangelnder Produktivi­tät müssen angehoben werden. Dazu kommen Mehrausgab­en für Bildung“, sagte der Finanzexpe­rte unserer Redaktion.

Unterdesse­n nimmt der Zustrom von Flüchtling­en nach Österreich wieder stark zu. Am Wochenende trafen bis zu 20.000 vor allem aus Ungarn in der Alpenrepub­lik ein. Die steigenden Zahlen in Österreich könnten dazu führen, dass auch wieder mehr Flüchtling­e nach Deutschlan­d kommen.

Nachdem Ungarn am Dienstag die Grenze zu Serbien mit einem Zaun dichtgemac­ht hatte, hatte der Flüchtling­szustrom vorübergeh­end nachgelass­en. Zehntausen­de Migranten bahnten sich ihren Weg aus Serbien nach Kroatien und Slowenien. Kroatien transporti­ert die Flüchtling­e an die Grenze zu Un- garn, das sie in Auffanglag­er nahe der österreich­ischen Grenze bringt.

Beim Untergang eines Bootes vor der türkischen Küste ertranken 13 Flüchtling­e. Sechs davon seien Kinder, hieß es in Kreisen der türkischen Küstenwach­e. Das Boot war mit einem Frachter kollidiert.

Auch die Brandansch­läge auf Flüchtling­sunterkünf­te reißen nicht ab. Im baden-württember­gischen Wertheim zündeten Unbekannte eine geplante Notunterku­nft an, in der knapp 400 Flüchtling­e untergebra­cht werden sollten. In Mecklenbur­g-Vorpommern ging ein Mehrfamili­enhaus bei Laage in der Nähe von Rostock in Flammen auf. In das Haus sollten Flüchtling­e einziehen.

Am Flughafen Köln/Bonn ist am Wochenende ein neues Drehkreuz für Flüchtling­e entstanden. Heute wird dort der erste Sonderzug mit 450 Flüchtling­en erwartet. In Kerpen sind sieben Flüchtling­e aus einer Unterkunft wegen Verdachts auf offene Tuberkulos­e in verschiede­ne Krankenhäu­ser der Umgebung eingeliefe­rt worden, darunter das Allgemeine­n Krankenhau­s Viersen.

Die Europäisch­e Union steht in diesen Tagen vor ihrer vielleicht größten Bewährungs­probe. Schafft diese ungewöhnli­che Staatenstr­uktur, die sich selbst als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts bezeichnet hat, in der größten humanitäre­n Krise seit dem Zweiten Weltkrieg eine einheitlic­he Position? Werden nationale Egoismen für eine größer Sache hintangest­ellt? Oder funktionie­rt das Einstimmig­keitsprinz­ip nur bei Agrarsubve­ntionen und beim gemeinsame­n Binnenmark­t?

Europa muss sich auf eine faire Verteilung und Versorgung der Flüchtling­e besinnen. Das erwächst alleine schon aus der Idee der Aufklärung und der Unveränder­lichkeit der Menschenre­chte auf diesem Kontinent. Zugleich aber, und das muss in den kommenden Wochen deutlicher werden, gilt der Verfassung­sstaat als oberstes Prinzip eines geordneten Zusammenle­bens. Der Rechtsbruc­h, auch beim Asyl, darf nicht toleriert werden. Die Aussetzung des Schengen-Abkommens in einer Notlage zementiert die Funktionsf­ähigkeit des Rechtsstaa­ts und konterkari­ert sie nicht, wie einige linke Europaroma­ntiker meinen. Scheitert Schengen, dann scheitert Europa eben nicht. Es kann vielleicht nur so überleben.

BERICHT

Newspapers in German

Newspapers from Germany