McKinsey soll Flüchtlingschaos ordnen
Der neue Chef des Bundesamts für Migration, Frank-Jürgen Weise, hat die Unternehmensberatung ins Haus geholt. In Kerpen wurden sieben Flüchtlinge wegen Tbc-Verdachts ins Krankenhaus eingeliefert.
DÜSSELDORF Die Unternehmensberatung McKinsey soll der Bundesregierung bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise helfen. Eine entsprechende Vereinbarung hat der neue Chef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Frank-Jürgen Weise, nach Informationen unserer Redaktion aus Regierungskreisen mit dem früheren McKinseyDeutschlandchef Frank Mattern getroffen. Demnach soll die Unternehmensberatung dabei helfen, die Asylverfahren zu beschleunigen und die Integration der Asylbewerber in den Arbeitsmarkt zu erleichtern. Die Kanzlerin habe dem Vorgehen zugestimmt, heißt es.
Mattern will dazu ein Team von bis zu zehn Beratern aufbauen, das zunächst bis zu sechs Wochen unentgeltlich dem Flüchtlingskoordinator Weise und der interministeriellen Lenkungsrunde der Bundesregierung zur Seite steht. In einer Mail an alle Partner kündigte McKinsey-Weltchef Dominic Barton das außerplanmäßige Engagement an: „Unsere Firma kann und sollte eine wichtige Rolle in der größten humanitären und sicherheitspolitischen Herausforderung der jüngsten Zeit spielen.“Europa sei das Epizentrum der Krise. Im Libanon wolle McKinsey zusammen mit der Kinderhilfsorganisation Unicef eine Bildungseinrichtung für junge Migranten aufbauen. Die USUnternehmensberatung hatte bereits der schwedischen Regierung Hilfestellung bei ihren Flüchtlingsproblemen gegeben hatte.
Derweil geht in Deutschland die Debatte um die Integration der Flüchtlinge weiter. SPD-Fraktionsvize Carsten Schneider fordert eine aktive Arbeitsmarktpolitik für Flüchtlinge, weil nicht alle in den Arbeitsmarkt integriert werden könnten. „Die Zuschüsse zum Ausgleich mangelnder Produktivität müssen angehoben werden. Dazu kommen Mehrausgaben für Bildung“, sagte der Finanzexperte unserer Redaktion.
Unterdessen nimmt der Zustrom von Flüchtlingen nach Österreich wieder stark zu. Am Wochenende trafen bis zu 20.000 vor allem aus Ungarn in der Alpenrepublik ein. Die steigenden Zahlen in Österreich könnten dazu führen, dass auch wieder mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen.
Nachdem Ungarn am Dienstag die Grenze zu Serbien mit einem Zaun dichtgemacht hatte, hatte der Flüchtlingszustrom vorübergehend nachgelassen. Zehntausende Migranten bahnten sich ihren Weg aus Serbien nach Kroatien und Slowenien. Kroatien transportiert die Flüchtlinge an die Grenze zu Un- garn, das sie in Auffanglager nahe der österreichischen Grenze bringt.
Beim Untergang eines Bootes vor der türkischen Küste ertranken 13 Flüchtlinge. Sechs davon seien Kinder, hieß es in Kreisen der türkischen Küstenwache. Das Boot war mit einem Frachter kollidiert.
Auch die Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte reißen nicht ab. Im baden-württembergischen Wertheim zündeten Unbekannte eine geplante Notunterkunft an, in der knapp 400 Flüchtlinge untergebracht werden sollten. In Mecklenburg-Vorpommern ging ein Mehrfamilienhaus bei Laage in der Nähe von Rostock in Flammen auf. In das Haus sollten Flüchtlinge einziehen.
Am Flughafen Köln/Bonn ist am Wochenende ein neues Drehkreuz für Flüchtlinge entstanden. Heute wird dort der erste Sonderzug mit 450 Flüchtlingen erwartet. In Kerpen sind sieben Flüchtlinge aus einer Unterkunft wegen Verdachts auf offene Tuberkulose in verschiedene Krankenhäuser der Umgebung eingeliefert worden, darunter das Allgemeinen Krankenhaus Viersen.
Die Europäische Union steht in diesen Tagen vor ihrer vielleicht größten Bewährungsprobe. Schafft diese ungewöhnliche Staatenstruktur, die sich selbst als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts bezeichnet hat, in der größten humanitären Krise seit dem Zweiten Weltkrieg eine einheitliche Position? Werden nationale Egoismen für eine größer Sache hintangestellt? Oder funktioniert das Einstimmigkeitsprinzip nur bei Agrarsubventionen und beim gemeinsamen Binnenmarkt?
Europa muss sich auf eine faire Verteilung und Versorgung der Flüchtlinge besinnen. Das erwächst alleine schon aus der Idee der Aufklärung und der Unveränderlichkeit der Menschenrechte auf diesem Kontinent. Zugleich aber, und das muss in den kommenden Wochen deutlicher werden, gilt der Verfassungsstaat als oberstes Prinzip eines geordneten Zusammenlebens. Der Rechtsbruch, auch beim Asyl, darf nicht toleriert werden. Die Aussetzung des Schengen-Abkommens in einer Notlage zementiert die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats und konterkariert sie nicht, wie einige linke Europaromantiker meinen. Scheitert Schengen, dann scheitert Europa eben nicht. Es kann vielleicht nur so überleben.
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