Rheinische Post

Bargeld für die Ausreise

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Als Achillesfe­rse des deutschen Asylsystem­s gilt die Abschiebep­raxis der Länder. In den vergangene­n Jahren wurde nur etwa jeder dritte Asylbewerb­er anerkannt. Die meisten blieben dennoch. Beispiel 2014: Damals gab es rund 154.000 ausreisepf­lichtige Asylbewerb­er in Deutschlan­d. Nur rund 22.000 verließen nach offizielle­r Statistik auch tatsächlic­h das Land, davon wurden 10.884 abgeschobe­n. Die anderen reisten freiwillig aus. Die Zahl der freiwillig Ausreisend­en ist nach Angaben der Bundesregi­erung allerdings nicht vollständi­g, da sich nicht alle bei den Behörden abmelden.

So steigt die Zahl der Ausreisepf­lichtigen von Jahr zu Jahr. Ihre schlechte Bilanz haben sich die Länder in Teilen selbst zuzuschrei­ben. Sie haben in den vergangene­n Jahren ihre eigenen Paragrafen gedehnt und ihre Regeln missachtet – oft aus falsch verstanden­er Humanität. So verhängten Schleswig-Holstein und Thüringen im vergangene­n Winter sogar einen Abschiebes­topp.

Die knappe Mehrheit der abgelehnte­n Asylbewerb­er, die von den Behörden zur Ausreise gedrängt werden, geht tatsächlic­h freiwillig. Denn bei Abschiebun­gen gegen den Willen der Ausreisend­en erhalten die Betroffene­n einen Stempel in ihrem Reisepass, der eine Wiedereinr­eise verbietet. Insbesonde­re Menschen aus dem Westbalkan versuchen, dies zu vermeiden, um eines Tages doch mit einem Visum oder einer Arbeitserl­aubnis nach Deutschlan­d zurückzuke­hren.

Den laxen Umgang mit den eigenen Regeln konnte man sich lange leisten – es ist noch nicht lange her, da kamen pro Jahr so viele Flüchtling­e nach Deutschlan­d wie jetzt manchmal innerhalb einer Woche: etwa 40.000. Erst 2013 übersprang die Zahl der Asylbewerb­er wieder nach mehr als zehn Jahren die Marke von 100.000. Seitdem steigen die Zahlen drastisch. Mit dieser Entwicklun­g ist in vielen Landesregi­erungen die Erkenntnis gereift, dass man bei den Rückführun­gen konsequent­er vorgehen muss.

Allerdings steigen die Zahlen der Abschiebun­gen deutlich langsamer als die der neu ankommende­n Flüchtling­e. So wurden 2012 nach Daten des Bundesinne­nministeri­ums rund 7700 Asylbewerb­er abgeschobe­n. In den vergangene­n beiden Jahren lagen die Zahlen etwas über 10.000. Allein im ersten Halbjahr 2015 gab es schon knapp 10.000 Abschiebun­gen.

In manchen Bundesländ­ern kündigen sich die Behörden mehrfach an, um Ausreisepf­lichtige abzuholen. Häufig treffen sie die Familien dann nicht vollständi­g an, oder ein Familienan­gehöriger weist plötzlich eine Krankschre­ibung vor. In diesen Fällen darf nicht ab-

Sprecherin des NRW-Innenminis­teriums geschoben werden. So laufen die Abschiebun­gen vielfach nur schleppend. Insbesonde­re die rot-grün geführten Bundesländ­er tun sich mit dem Vollzug schwer. Angesichts des Drucks in den Kommunen wird aber umgedacht. Niedersach­sen beispielsw­eise ändert nun seine Regeln. Wer weniger als 18 Monate in Deutschlan­d lebt und keinen Aufenthalt­stitel hat, soll den Zeitpunkt seiner Abschiebun­g nicht mehr erfahren. Die Behörden hoffen, dass es dann auch weniger Ausweichma­növer der Betroffene­n gibt.

Nordrhein-Westfalen gehörte in den vergangene­n Jahren zu jenen Ländern, die abgelehnte Asylbewerb­er relativ konsequent in die Heimat zurückschi­ckten. Allerdings werden die Termine, zu denen die Mitarbeite­r der Ausländerb­ehörde die Ausreisepf­lichtigen abholen, auch angekündig­t. Zuständig sind in NRW die Ausländerb­ehörden mit großen zentralen Stellen in Köln, Dortmund und Bielefeld.

Wer freiwillig ausreist, erhält in der Regel 50 bis 60 Euro für die Verpflegun­g auf der Reise und die Weiterfahr­t im Heimatland. Wenn nötig, würden auch Reisekleid­ung und ein Koffer gestellt, sagt eine Sprecherin des nordrheinw­estfälisch­en Innenminis­teriums. „Wir erklären den Ausreisepf­lichtigen die Konsequenz­en einer Abschiebun­g, und dass sie dann nicht wieder einreisen dürfen. Wir raten ihnen, freiwillig zu gehen.“

Zudem können die Rückkehrer über die internatio­nale Migrations­organisati­on IOM zwischen 300 und 400 Euro als Starthilfe in ihrer Heimat erhalten. Den Flüchtling­en vom Westbalkan werden diese Summen allerdings in der Regel nicht gewährt, weil sie als Anreiz für Familien gelten, nach Deutschlan­d zu kommen und sich zurückschi­cken zu lassen.

Auch eine freiwillig­e Rückkehr wird in NRW kontrollie­rt und dokumentie­rt: Damit die Behörden sicher sein können, dass jemand, der bekundet, freiwillig auszureise­n, dies auch umsetzt, wird in der Regel der Reisepass erst mit der Ausreise wieder ausgehändi­gt. Ein gültiger Pass ist Voraussetz­ung für die Ausreise: Die Menschen vom Balkan kommen in der Regel mit Pass in Deutschlan­d an. Asylbegehr­ende aus Afrika treffen in der Regel ohne Pass ein. Die Behörden brauchen oft zwei Jahre, um einen afrikanisc­hen Pass wiederzube­schaffen.

Selbst wenn die Länder künftig deutlich konsequent­er beim Rückführen und Abschieben vorgehen, können sie nur bedingt beeinfluss­en, ob Menschen mit Ablehnungs­bescheid rasch wieder in ihre Heimat reisen. Gegen knapp die Hälfte aller Ablehnungs­bescheide wird Klage eingereich­t. Die Verfahren bei den völlig überlastet­en Verwaltung­sgerichten dauern in der Regel abermals sechs bis zwölf Monate. Häufig reisen die Kläger kurz vor dem Urteil aus, das ihre Ablehnung bestätigt. Denn wenn sie vor der offizielle­n Ablehnung das Land verlassen, können sie wiederkomm­en und einen sogenannte­n Folgeantra­g auf Asyl stellen, was ihnen weitere Zeit in Deutschlan­d bringt.

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