Rheinische Post

Wachsende Nervosität vor Flüchtling­sgipfel

Bessere Verteilung, verschärft­e Sanktionen, vereinfach­te Vorschrift­en sollen beschlosse­n werden. Zugleich blickt die Politik darüber hinaus.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Um die Flüchtling­sentwicklu­ng in den Griff zu bekommen, jagt ein Gipfel den nächsten. Am Mittwoch kommen die Staats- und Regierungs­chefs der EU zusammen, um einen neuen Anlauf für feste Quoten bei der Flüchtling­sunterbrin­gung zu starten. Am Donnerstag versammelt Bundeskanz­lerin Angela Merkel die Ministerpr­äsidenten im Kanzleramt, um mit ihnen ein gewaltiges Gesetzes- und Vorhabenpa­ket zu schnüren. Doch im Vorfeld wächst die Nervosität, weil auch lange Zeit Undenkbare­s Eingang in die Entwürfe gefunden hat oder noch finden soll.

Bei einem Vorbereitu­ngstreffen sagte der Bund bereits zu, sich stärker bei der Flüchtling­s-Erstaufnah­me zu engagieren und schnellstm­öglich 40.000 zusätzlich­e Plätze zu schaffen. Außerdem soll die Bundeswehr weitere Verteilzen­tren betreiben. Klar ist aber auch, dass die Länder auf nochmals mehr BundesGeld dringen, obwohl Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) die ursprüngli­che Erhöhung von einer halben auf eine Milliarde um weitere drei Milliarden aufgestock­t hatte. Zugleich regt sich jedoch Protest gegen Schäubles Vorhaben, mindestens 2,5 Milliarden der zusätzlich­en Flüchtling­smittel durch Einsparung­en an anderer Stelle aufzufange­n.

Aller Voraussich­t nach werden sich die Gipfelteil­nehmer auch auf deutliche Verschärfu­ngen im Asylrecht verständig­en. Dazu gehört die Erweiterun­g sogenannte­r sicherer Herkunftss­taaten, womit Asylverfah­ren verkürzt und Abschiebun­gen erleichter­t werden sollen. Weitgehend akzeptiert hat die SPD bereits die von der Union forcierte Umstellung von möglichst vielen Geld- auf Sachleistu­ngen. Doch wie weit sich Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) durchsetze­n kann, die freiwillig­e Ausreise abgelehnte­r Asylbewerb­er durch Leistungsk­ür- zungen zu beschleuni­gen, ist noch umstritten.

Hinzu kommen weitere Vorschläge auf der Unionsseit­e, die auf noch drastische­re Einschränk­ungen hinauslauf­en. So etwa ein unserer Redaktion vorliegend­es Papier von Berlins Justizsena­tor Thomas Heilmann (CDU). Er will ein „Asylbewält­igungsgese­tz“, das „besonders eilbedürft­ig“sei. Darin will er die doppelte Anhörung im Asylverfah­ren und vor den Verwaltung­sgerichten abschaffen, die Verzögerun­g durch Befangenhe­itsanträge erschweren, die Akteneinsi­cht auf den ausschließ­lich elektronis­chen Weg umstellen und rechtskräf­tig ausreisepf­lichtigen Personen „keine Leistungen mehr nach dem Asylbewerb­erleistung­sgesetz“gewähren.

Schon während des Asylverfah­rens soll Antragstel­lern Sozialhilf­e nur „mindestens in Höhe des absolut Überlebens­notwendige­n“gewährt werden, danach könnten sämtliche Sätze „in Anlehnung an das Sozialleis­tungsnivea­u im jeweiligen Herkunftsl­and unterschri­tten“werden. Auch das Grundrecht auf Asyl in der Verfassung soll danach eingeschrä­nkt werden, indem sich künftig nicht mehr auf Asyl berufen kann, wer im Asylverfah­ren falsche Angaben macht. Überschrie­ben hat Heilmann diesen Abschnitt mit „Sanktionen für Verfahrens­sabotage“.

De Maizière brachte als zusätzlich­e Begrenzung einen Mechanismu­s ein, wonach künftig Flüchtling­e an den Außengrenz­en der Europäisch­en Union abgewiesen werden können, wenn großzügig angelegte Kontingent­e für eine legale Zuwanderun­g ausgeschöp­ft wurden. SPDChef Sigmar Gabriel wies dieses Ansinnen umgehend zurück und verwies auf die von der CDU-Kanzlerin gemachten Zusicherun­gen „ohne Obergrenze­n“.

Das Tauziehen dürfte bei den Detailbera­tungen im Bundestag noch einige Wochen anhalten. Zugleich blicken die Spitzenpol­itiker auf zusätzlich­e Milliarden-Hilfen für die Flüchtling­sregionen, in denen die Menschen bessere Bedingunge­n bekommen sollen, um ihre Motivation zur Flucht nach Europa zu minimieren. Merkel bricht deshalb unmittelba­r nach dem Gipfel am Donnerstag nach New York auf, um auf die künftige Entwicklun­gspolitik der Uno einzuwirke­n.

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