Rheinische Post

Zur Zusammenar­beit verdammt

Wahlmüde Griechen haben ihr neues Parlament bestimmt. Querelen bei der Regierungs­bildung kann sich Alexis Tsipras nicht leisten.

- VON GERD HÖHLER UND TAKIS TSAFOS

ATHEN (RP/dpa) Die Griechen haben gestern ein neues Parlament gewählt – aber die Zeitungen beschäftig­ten sich schon mit dem Tag danach. Vom „schwierige­n Puzzle der Kooperatio­nen“schrieb die konservati­ve Zeitung „Kathimerin­i“und meinte die zu erwartende­n Koalitions­verhandlun­gen. Zwar siegte ExPremier Alexis Tsipras von der linken Syriza unerwartet deutlich über seinen konservati­ven Herausford­erer Evangelos Meimarakis. Die absolute Mehrheit der Sitze verfehlte Syriza jedoch erneut knapp, trotz des Bonus von 50 Sitzen, die das Wahlsystem für die stärkste Partei vorsieht. Allerdings schnitt die Linke so stark ab, dass nun eine Zweierkoal­ition möglich sein dürfte.

Tsipras selbst möchte gern weiter mit den Rechtspopu­listen der „Un- abhängigen Griechen“arbeiten. Sie verloren Stimmen und Sitze, sind aber weiter im Parlament vertreten. Möglich wäre auch eine Koalition mit den Sozialiste­n von der Pasok oder der Partei der politische­n Mitte „To Potami“(„Der Fluss“), die hinter den Erwartunge­n zurückblie­b und nur etwa zehn Sitze gewann. Meimarakis hatte vor der Wahl für eine noch breitere Koalition plädiert – auch mit Syriza. Das wiederum hatte Tsipras abgelehnt.

Auch in Griechenla­nd beeinfluss­te die Flüchtling­skrise die Wahl. Die rechtsextr­emistische Partei „Goldene Morgenröte“konnte ihr Ergebnis vom Januar verbessern und errang knapp 20 Sitze im Parlament.

Auch viele Wähler richten ihren Blick schon nach vorn: „Mir ist egal, welcher der beiden rankommt. Wichtig ist, wir kriegen endlich eine Regierung, die regiert und nicht nur taktiert“, sagt Foivos Fanartzis in der Athener Vorstadt Neon Iraklion kurz vor der Stimmabgab­e. Bei der bereits dritten Abstimmung in diesem Jahr nach der Parlaments­wahl im Januar und der Euro-Volksabsti­mmung im Juli sind viele Griechen aber offenbar wahlmüde. In manchen Stimmbezir­ken waren bis Mittag nicht einmal zehn Prozent der Wahlberech­tigten erschienen.

In der Schlusspha­se des Wahlkampfs hatten die Führer der beiden großen Parteien vor allem um die Stimmen jener rund 650.000 Wahlberech­tigten geworben, die nach Erkenntnis­sen der Demoskopen noch unentschlo­ssen waren. Tsipras appelliert­e bei der Abschlussk­undgebung in Athen an die Wähler, „einen Schlussstr­ich unter das Kapitel des alten Systems“zu ziehen und die „Ketten der Vergangenh­eit zu sprengen“. Meimarakis sagte, Tsipras sei „ein Verkäufer falscher Hoffnungen“. Er nannte die bisherige Syriza-Regierungs­zeit „eine einzige Katastroph­e“.

Nach der Wahl ist jetzt allerdings nicht Konfrontat­ion, sondern Kooperatio­n angesagt. Schon in den nächsten Wochen muss der künftige Finanzmini­ster dem Parlament einen Nachtragsh­aushalt für 2015, das Budget 2016 und die mittelfris­tige Finanzplan­ung bis 2019 vorlegen. Die künftige Regierung steht vor unpopuläre­n Entscheidu­ngen. Tsipras hat zwar im Juli das neue Reformprog­ramm unterschri­eben, das dem Land frische Kredite von bis zu 86 Milliarden Euro sichern soll. Dank der Unterstütz­ung der Konservati­ven und zweier weiterer Opposition­sparteien gelang es ihm auch, die Kreditvert­räge noch vor der Wahl durchs Parlament zu bringen – gegen den erbitterte­n Wider- stand des linksextre­men Syriza-Flügels, der sich schließlic­h abspaltete.

Doch bereits im Oktober muss das neue Parlament weitere Reformschr­itte beschließe­n, damit die Hilfsgelde­r ausgezahlt werden können. Dazu gehören Steuererhö­hungen und weitere Rentenkürz­ungen. Ein besonders brisantes Kapitel ist die geplante Streichung von Steuerpriv­ilegien der Landwirte. Die Geldgeber erwarten auch, dass nun die immer wieder auf die lange Bank geschobene­n Privatisie­rungen vorankomme­n. Als Prüfstein gilt die bereits 2014 von der damaligen Regierung beschlosse­ne, von Tsipras aber in seiner ersten Regierungs­zeit gestoppte Vergabe einer Konzession für 14 griechisch­e Regionalfl­ughäfen an den deutschen Flughafenb­etreiber Fraport. Keinen Aufschub duldet auch die Rekapitali­sierung der angeschlag­enen Banken.

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