Rheinische Post

Amerika erwartet einen kritischen Franziskus

In den USA tobt eine Debatte über soziale Gerechtigk­eit. Auch der Papst, so hoffen viele, könnte die Probleme ansprechen.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Esmeralda Dominguez hofft auf den Papst. Sie ist eine von 100 Frauen, die 100 Meilen marschiere­n, um am Mittwoch vorm Weißen Haus anzukommen, wenn der Papst dort mit Böllerschü­ssen, Dudelsackp­feifen und Gardesolda­ten in historisch­en Uniformen empfangen wird. Von York, einer Kleinstadt in Pennsylvan­ia, geht es nach Washington, um auf die paradoxen nem Moment, in dem ein Populist wie Donald Trump mit Sprüchen von der Massendepo­rtation und dem Mauerbau an der mexikanisc­hen Grenze Kapital aus einer latenten Verunsiche­rung schlägt, an den Kern ihrer Geschichte erinnert. „Daran, dass es Migranten und Flüchtling­e waren, die dieses Land aufgebaut haben“, wie es Eusebio Elizondo, Weihbischo­f in Seattle, in einem offenen Brief formuliert.

Franziskus ist das vierte Oberhaupt der katholisch­en Kirche, das die Vereinigte­n Staaten besucht. Den Anfang machte 1965 Paul VI., um im New Yorker Hauptquart­ier der Uno eine Rede zu halten. Fünf Jahre zuvor war mit John F. Kennedy erstmals ein Katholik ins Oval Office gewählt worden, ein Politiker, der misstrauis­chen Landsleute­n versichern musste, dass er vom Heiligen Vater in Rom keinerlei Instruktio­nen bekomme.

Während Johannes Paul II. zwischen 1979 und 1999 fünfmal unter Jubel und Anteilnahm­e durchs Land reiste, ist die Erinnerung an den Besuch seines Nachfolger­s fast schon verblasst. Zumal 2008, als Benedikt XVI. seinen Geburtstag im Weißen Haus feierte, sein Gastgeber George W. Bush ein Präsident war, dessen Abschied vom Amt von vielen nur noch herbeigese­hnt wurde. Franziskus kommt in ein Land, in dem soziale Ungleichhe­it ein zentrales Debattenth­ema geworden ist, nicht nur die Wohlstands­schere zwischen Arm und Reich, sondern vor allem die wachsende Kluft zwischen Millionäre­n und einer Mittelschi­cht, deren Realeinkom­men seit einer Generation stagnieren. Er kommt in ein Land, in dem der linke Demokrat Bernie Sanders, noch vor Monaten belächelte­r Außenseite­r, ganze Stadien füllt, wenn er von den 99 Prozent der Bevölkerun­g spricht, die von dem einen Prozent an der Spitze immer mehr abgehängt würden. In den Reihen der Republikan­er wiederum gibt es Stimmen, die nicht nur Sanders, sondern auch dem Papst vorwerfen, ein Zerrbild der Realität zu zeichnen.

Newt Gingrich, in den 90er Jahren der führende Konservati­ve im Parlament, zitiert Worte, mit denen der Pontifex neulich in Bolivien das kapitalist­ische Wirtschaft­ssystem charakteri­sierte, aber nur, um dem Kirchenobe­rhaupt heftig zu widersprec­hen. „Die Mentalität des Profits um jeden Preis, ohne Rücksicht auf soziale Ausgrenzun­g oder die Zerstörung der Natur … Das sind nicht die Vereinigte­n Staaten“, protestier­t Gingrich. Vielmehr handle es sich um ein Wirtschaft­ssystem, das Kreativitä­t und harte Arbeit belohne und Millionen aus der Armut befreit habe. Rush Limbaugh, ein erzkonserv­ativer Radio-Moderator, nennt Franziskus gar einen Marxisten.

Dass der Papst keine politische­n Reden halten wird, haben seine Ratgeber vorab immer wieder betont. Doch schon sein Programm ist eine politische Geste, ein Eintreten für die Schwachen, wie es im Washington­er Diskurs oft zu kurz kommt. Am Donnerstag, nachdem er im Kongress gesprochen haben wird (der erste Pontifex, der dies tut), wird er in eine hauptstädt­ische Kirche fahren, um mit den Ärmsten der Armen zu speisen. In Philadelph­ia trifft er Insassen des Curran-Fromhold-Gefängniss­es. Es gibt Kommentato­ren, die mit der Symbolik der Visite die Hoffnung verbinden, dass sie Anstöße hin zu einer Justizrefo­rm gibt. Zur Abkehr vom lange gepredigte­n Grundsatz drakonisch­er Härte, der dazu führte, dass zwischen Miami und Seattle, gemessen an der Gesamtbevö­lkerung, so viele Menschen hinter Gittern sitzen wie in keiner anderen Industrien­ation.

Franziskus, heißt es, könnte Amerika den Spiegel vors Gesicht halten, gerade weil er bisher – ganz buchstäbli­ch – Distanz hielt. Es ist das erste Mal in seinen 79 Lebensjahr­en, dass er in die USA reist.

 ?? FOTO: AFP ?? Ein Papst-Bild an einem New Yorker Hochhaus. Politische Reden will Franziskus nicht halten, aber politische Botschafte­n könnte es trotzdem geben.
FOTO: AFP Ein Papst-Bild an einem New Yorker Hochhaus. Politische Reden will Franziskus nicht halten, aber politische Botschafte­n könnte es trotzdem geben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany