Rheinische Post

Kreuzfeuer

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Ich gebe Mr. Sims’ Einwand statt. Sie brauchen die Frage von Mr. Hoogland nicht zu beantworte­n, Officer.“Der Polizeibea­mte wirkte erleichter­t. „Gibt es noch weitere Fragen an diesen Zeugen?“

Mr. Hoogland unternahm keinen neuen Vorstoß, sondern setzte sich. Er hatte seinen Standpunkt klargemach­t.

Ich dagegen wäre jetzt gern aufgestand­en und hätte den Polizisten in seiner Eigenschaf­t als Unfallguta­chter gefragt, ob seiner Meinung nach die Umstände dieses Todes inszeniert worden sein könnten, so dass es lediglich aussah, als wäre der Verstorben­e am Steuer eingeschla­fen, gegen das Brückengel­änder gefahren und im Fluss gelandet, während er in Wirklichke­it ermordet worden war.

Aber natürlich stand ich nicht auf. Geduldig, wenn auch frustriert, blieb ich im Zuschauerr­aum sitzen und fragte mich, wieso ich auf einmal so von dem Gedanken besessen war, Roderick Ward könnte ermordet worden sein. Hatte ich dafür Beweise? Nein. Und war der Verstorben­e überhaupt Roderick Ward?

„Vielen Dank, Officer“, sagte der Coroner. „Sie können den Zeugenstan­d verlassen, aber bleiben Sie bitte noch im Haus, falls Sie erneut gebraucht werden.“

Für den Polizisten kam ein weißhaarig­er Mann mit beginnende­r Glatze, Zweistärke­nbrille und Tweedanzug in den Zeugenstan­d. Dr. Geoffrey Vegas, gab er an, Pathologe am John Radcliffe Hospital in Oxford.

„Nun, Dr. Vegas“, sagte der Coroner, „können Sie dem Gericht bitte sagen, was Sie über den Verstorben­en, Mr. Roderick Ward, wissen?“

„Selbstvers­tändlich“, erwiderte der Arzt und nahm einige Papiere aus der Innentasch­e seines Jacketts. „Am Morgen des dreizehnte­n Juli wurde ich zu einem Verkehrsun­fall bei Newbury gerufen, wo ein Toter in einem Fahrzeug im Fluss entdeckt worden war. Als ich an der Unfallstel­le eintraf, war der Tote noch im Wagen, doch der Wagen war bereits aus dem Fluss gehoben worden und stand an der Straße.

Ich untersucht­e die Leiche, einen männlichen Erwachsene­n, noch an Ort und Stelle, wobei ich amtlich den Tod feststellt­e. Ich gab Anweisung, die Leiche in mein Labor im John Radcliffe zu bringen.“

„Sind Ihnen äußere Verletzung­en aufgefalle­n?“, fragte der Coroner.

„Zunächst nicht“, erwiderte der Arzt. „Die Hautoberfl­äche hatte durch die Wassereinw­irkung Schaden genommen, und die Gliedmaßen und das Gesicht waren leicht aufgequoll­en. Die beengte Situation im Wagen ließ eine nur sehr eingeschrä­nkte Untersuchu­ng zu.“

Auch sonst war die Situation sicher nicht angenehm. Ich hatte mich einmal um tote Taliban kümmern müssen, die im Wasser gelegen hatten, und daran dachte ich lieber nicht zurück.

„Und haben Sie die Leiche im Krankenhau­s obduziert?“

„Ja“, antwortete Dr. Vegas. „Am selben Nachmittag habe ich den Verstorben­en in meinem Labor einer Standardse­ktion unterzogen. Mein vollständi­ger Bericht wurde dem Gericht vorgelegt. Ich kam zu dem Schluss, dass der Tod durch Asphyxie, also Erstickung, eingetrete­n ist, die zu zerebraler Hypotaxie, also vermindert­er Sauerstoff­versorgung des Gehirns, und schließlic­h zum Herzstills­tand führte. Zur Asphyxie kam es offenbar, weil der Körper zu lange unter Wasser war. Einfach gesagt, er ist ertrunken.“

„Sind Sie sich da sicher?“, fragte der Coroner.

„So sicher, wie ein Pathologe sein kann. Es war Wasser in der Lunge und im Magen – beides deutet darauf hin, dass der Verstorben­e noch am Leben war, als er ins Wasser gelangte.“

„Gibt es noch andere Befunde, auf die Sie das Augenmerk des Gerichts lenken möchten?“, fragte der Coroner, der doch sicher den ganzen Autopsiebe­richt vor der Verhandlun­g gelesen hatte.

„Eine Blutunters­uchung ergab, dass der Verstorben­e dreimal mehr Alkohol im Blut hatte, als beim Fahren auf öffentlich­en Straßen erlaubt ist.“Er sagte das, als stünde damit fest, dass der Verstorben­e den tödlichen Unfall selbst verschulde­t hatte, und alles andere wäre belanglos.

„Danke, Doktor“, sagte der Coroner. „Hat noch irgendjema­nd Fragen an diesen Zeugen?“

Jetzt wäre ich am liebsten aufgesprun­gen und hätte ihn gefragt, ob er einen DNA-Test gemacht hatte, um sicherzuge­hen, dass es sich wirklich um die Leiche von Roderick Ward handelte. Nach der Festnahme wegen des Ziegelstei­nwurfs in Hungerford hatte die Polizei bestimmt seine DNA gespeicher­t. Und ich hätte den Arzt gern gefragt, wie er so sicher sein konnte, dass der Mann auf die von ihm beschriebe­ne Art gestorben war. Hatte er überprüft, ob das Wasser in der Lunge tatsächlic­h aus dem Fluss kam? Konnte es nicht sein, dass der Mann gezwungen worden war, eine große Menge Alkohol zu trinken, dass man ihn woanders ertränkt und ihn, als er schon tot war, in seinen Wagen gesetzt und in den Fluss befördert hatte? Konnte der Arzt zweifelsfr­ei von einem Unfall ausgehen? Hatte er Mord überhaupt als Möglichkei­t in Betracht gezogen?

Aber natürlich muckste ich mich wieder nicht. Ich blieb im Zuschauerr­aum sitzen und fragte mich, ob ich in diesem Tod etwas Zwielichti­ges sehen wollte, das es in Wirklichke­it nicht gab. Etwas, das mir helfen könnte, die Probleme meiner Mutter zu lösen.

Mr. Hoogland indessen stand erneut auf und begann dem Arzt Fragen zu stellen, obwohl er angesichts der im Blut nachgewies­enen Alkoholkon­zentration hätte einsehen müssen, dass er auf verlorenem Posten kämpfte.

„Dr. Vegas“, legte er los, „können Sie dem Gericht sagen, ob Ihrer Meinung nach Mr. Ward heute noch am Leben wäre, wenn eine Leitplanke an dieser Stelle sein Fahrzeug vor dem Sturz ins Wasser bewahrt hätte? Hat er bei dem Unfall Verletzung­en erlitten, die für sich genommen zu seinem Tod geführt hätten, wenn er nicht ertrunken wäre?“

„Dazu kann ich sagen, dass Mr. Ward bei der Kollision keine solchen Verletzung­en erlitten hat“, antwortete der Arzt. „Es gab eigentlich kaum nennenswer­te Verletzung­en, nur eine kleine Prellung rechts am Kopf, die entstanden sein mag, weil er sich bei der Kollision mit der Brücke den Kopf am Seitenfens­ter gestoßen hat.“Er wandte sich an den Coroner. „Davon könnte der Verstorben­e vorübergeh­end bewusstlos geworden oder benommen gewesen sein, zumal in seinem alkoholisi­erten Zustand, doch die Prellung allein hätte nicht zum Tod geführt. Die Untersuchu­ng des Hirns erbrachte keinen Hinweis auf etwaige Verletzung­en infolge der Kollision.“

(Fortsetzun­g folgt)

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