Rheinische Post

Eine WG mit zehn Familien

Vor 20 Jahren verwirklic­hten „Die Grashüpfer“in Gerresheim ihr Ideal von Leben – zu den Bauherren von einst gehört auch ein bekannter Düsseldorf­er Architekt.

- VON UTE RASCH

Am Anfang war ein Acker. Und eine Idee. Den Acker hatte die Stadt an der Bergischen Landstraße erworben und zum Bauland erklärt. Die Idee vom Planungsam­t war, einen Teil dieses Terrains Wohngruppe­n anzubieten, die dort gemeinsam planen und bauen sollten – für ein Leben in Gemeinscha­ft. Das ist nun 20 Jahre her. Heute wuchert auf der kahlen Fläche von einst die Natur in verschwend­erischer Üppigkeit, in den Bäumen nisten Vögel aller Art. Aber wie hat sich das Wohn-Experiment der 1990-er Jahre, das durchaus mit Skepsis begleitet wurde, entwickelt?

An der Wand hängt ein bezaubernd­es grünes Monster, es könnte ein Schutzgeis­t sein für die Bewohner dieses Hauses: Matthias Pfeifer, Architekt und Vize-Vorsitzend­er des Bundes Deutscher Architekte­n in Düsseldorf und seine Frau, die Kunstthera­peutin Eva Schneehors­tPfeifer – sie schuf das Monster.

Die Familie, zu der auch drei mittlerwei­le erwachsene Kinder gehören, gehört zu den „Grashüpfer­n“, einer Gemeinscha­ft von zehn Paaren, die vor Nähe keine Angst haben. Im Gegenteil. Allerdings dürfte es für einen Architekte­n ziemlich ungewöhnli­ch sein, nicht in einem selbst entworfene­n Haus zu leben, sondern in einer alternativ­en WG. „Viele meiner Kollegen haben das nicht verstanden“, erinnert sich Pfeifer.

Dabei war für ihn und seine Frau das Konzept von Anfang an bestechend: In einer großen neuen Siedlung an der Heinrich-Könn-Straße sollte auch Platz sein für fünf Wohngruppe­n. Gesucht wurden Familien mit Kindern. „Das passte gut“, so Eva Schneehors­t-Pfeifer. Ihr erstes Kind war bereits geboren, das zweite unterwegs, bis zum Einzug 1994 sollte auch das dritte Kind auf der Welt sein. Schließlic­h fanden sich zehn Paare, die das Wagnis eingehen wollten, gemeinsam zu planen und zu bauen. In der Nachbarsch­aft entstanden andere Wohngruppe­n, eine entschied sich für einen runden Holzbau, auf dessen Flachdach heute Grün sprießt.

Bevor bei den „Grashüpfer­n“die Bagger anrückten, hatten sie unzählige Stunden über die Zukunft diskutiert, hatten Pläne entworfen und Modelle gebastelt. Schließlic­h entschiede­n sie sich für zwei weiße Reihenhaus-Komplexe für jeweils fünf Familien, die durch Gärten getrennt sind. Gebaut wurde als Eigentümer­gemeinscha­ft, heißt: Keinem gehört ein einzelnes Haus, alle haben Anteile am gesamten Komplex. „Aber wir haben uns noch nie über Geld gestritten“, so Pfeifer.

Klar war von Anfang an, dass es Gemeinscha­ftsräume geben sollte. So wurde gleich ein Licht durchflute­ter Raum in Eigenarbei­t gebaut, in dem sich heute die wöchentlic­he Nähgruppe trifft, der Chor probt (zurzeit Liebeslied­er von Brahms bis Grönemeyer), die Männer Skat spielen. Und überhaupt viel gefeiert wird.

Auch einen großen Keller nutzen, neben ihren privaten Kellerräum­en, alle gemeinsam, Platz für Fahrräder und Gartengerä­te, auch der Rasen- mäher ist wie die Kreissäge WG-Eigentum. Und der Getränkebe­darf aller zehn Familien wird gemeinsam per Internet bestellt.

Trotzdem: Als Kommune sollte man sich das Leben der „Grashüpfer“nicht vorstellen. Jede Familie lebt in ihrem Haus für sich, man rückt sich nicht zu nahe und betritt in der Regel den Garten der anderen nicht unaufgefor­dert. „Wir hatten von Anfang an nicht zu viel Anspruch an die Gemeinscha­ft“, so Pfeifer. Doch mit den Jahren ist eine starke Verbundenh­eit entstanden. „Gemeinsam zu bauen, ist ein Urerlebnis. Das schweißt zusammen.“Auch die junge Generation.

„Als wir 1994 einzogen, lebten hier 24 Kinder. Für die war das ein Paradies, eine Art Bullerbü. Aber – was dann später wichtig wurde – mit Straßenbah­nanschluss in die Altstadt“, erinnert sich das Paar. Und die Nachbarn jenseits der Wohngemein­schaft? „Haben sich nie über den Lärm beklagt.“

Mit der teilen die „Grashüpfer“in diesen letzten Sommertage­n ein besonderes Gemeinscha­ftserlebni­s: Dann spannen sie zwischen den Häusern eine Leine, an der eine Leinwand befestigt wird – und fertig ist das Open-Air-Kino. Nur einen Stuhl, den muss jeder mitbringen. Was sagte Eva Schneehors­t-Pfeifer zu Beginn? „Wir sind daran gewöhnt, schnell was zu organisier­en.“

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