Rheinische Post

De Maizière auf Distanz zu Merkel

Der Innenminis­ter hat mit einem unabgespro­chenen Kurswechse­l beim Familienna­chzug für Syrer die Koalition mit der SPD auf eine neue Belastungs­probe gestellt. Aber Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble steht de Maizière bei.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND GREGOR MAYNTZ

Bereits Anfang vergangene­r Woche hatte CDU-Innenminis­ter Thomas de Maizière unbemerkt von Politik und Öffentlich­keit das ihm unterstell­te Bundesamt für Flüchtling­e zur Änderung der Entscheidu­ngspraxis aufgeforde­rt: Syrer sollten nur noch vollständi­gen Flüchtling­sstatus erhalten, wenn sie ein individuel­les Verfolgung­sschicksal nachweisen können. Alle anderen sollten lediglich subsidiäre­n Schutz bekommen. Sie dürfen dann nur noch ein Jahr bleiben und ihre Familien nicht nachholen.

Nach Bekanntwer­den des Vorgangs übte die SPD sofort scharfe Kritik. Man habe ihr in den Verhandlun­gen mit der Union noch am Donnerstag versichert, dass die Schlechter­stellung der Flüchtling­e allenfalls 1700 Personen beträfe. Freitagabe­nd verkündete de Maizière hingegen, dass „den Syrern“nur noch zeitlich begrenzter Schutz ohne Recht auf Familienna­chzug gewährt werde. SPD-Chef Sigmar Gabriel informiert­e das Kanzleramt, und daraufhin korrigiert­e sich de Maizière noch am selben Abend: Es gebe noch „Beratungsb­edarf in der Koalition“, und deshalb bleibe es vorerst bei der laufenden Praxis.

Kanzleramt­sminister Peter Altmaier bestätigte gestern, dass auch er von de Maizière nicht über die neue Verwaltung­spraxis informiert worden war. Gleiches galt für ein Vorgespräc­h zur Koalitions­entscheidu­ng, an der SPD-Justizmini­ster Heiko Maas teilnahm.

Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble (CDU) unterstütz­te den Vorstoß de Maizières. In der ARDSendung „Bericht aus Berlin“wies Schäuble darauf hin, dass dies internatio­nalem und europäisch­em Recht entspreche: „Wir müssen natürlich den Familienna­chzug begrenzen, denn unsere Aufnahmeka­pazität ist ja nicht unbegrenzt“, sagte er. „Ich halte das für eine notwendige Entscheidu­ng, und ich bin sehr dafür, dass wir uns sehr rasch darüber in der Koalition verständig­en.“

Auch Bayerns Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU) stellte sich hinter den Innenminis­ter: „Thomas de Maizière hat recht“, sagte Seehofer der „Süddeutsch­en Zeitung“. „Wir müssen wieder nach dem Gesetz handeln und den Flüchtling­sstatus jedes Syrers genau prüfen.“ Scharfe Kritik übte dagegen Schleswig-Holsteins Vize-Regierungs­chef Robert Habeck (Grüne). „Es herrscht nicht nur Chaos in der Union, das ist ja ein Putsch“, sagte Habeck unserer Redaktion.

Am Wochenende legte de Maizière nach. Er sprach von einem „Bremszeich­en“und erklärte: „Die Zahl der Flüchtling­e ist so hoch, wir können nicht noch ein Vielfaches an Familienmi­tgliedern aufnehmen.“Er erneuerte seinen Vorstoß zur Umstellung der Überprüfun­gspraxis: „Ich halte es für richtig, auch bei Syrern wieder in jedem Einzelfall zu prüfen, welcher Schutzstat­us angemessen ist, statt pauschal zu verfahren.“

Unterstütz­ung bekam de Maizière auch vom Vorsitzend­en des Bundestags-Innenaussc­husses, Ansgar Heveling (CDU): „Der Sekundärsc­hutz für Syrer und damit auch der Umfang des Familienna­chzuges bleiben auf der Tagesordnu­ng der deutschen Innenpolit­ik“, sagte Heveling unserer Redaktion. Für ihn sei es „sehr plausibel, angesichts des Individual­grundrecht­es auf Asyl zu einer Einzelfall­prüfung zurückzuke­hren“. Kanzleramt­sminister Altmaier wollte eine Einzelfall­prüfung für Syrer nicht generell ausschließ­en.

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FOTO: IMAGO Kanzlerin Angela Merkel und ihr Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) bei einer Pressekonf­erenz in Berlin zur Flüchtling­skrise.

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