Rheinische Post

Rossini-Oper für die Generation Youtube

Kobie van Rensburg zeigt den „Barbier von Sevilla“als virtuelles, musikalisc­hes und spielerisc­hes Fest.

- VON PETRA DIEDERICHS

KREFELD Würde Gioacchino Rossini heute leben, wäre er als Stürmer der Belcanto-Charts ein heißer Kandidat für quotenbrin­gende Fernsehfor­mate. Vielleicht bekäme er als ausgewiese­ner Gourmet eine Kochshow. Das nutzt der südafrikan­ische Regisseur Kobie van Rensburg in seiner Inszenieru­ng des „Barbier von Sevilla“fürs Krefelder Theater: Zur Ouvertüre lässt Rossini in einer TV-Küche Omeletts durch die Luft fliegen und Gemüsemass­aker anrichten. Die Texteinble­ndung zeigt dem Zuschauer, dass das „groovy“ist – und das Publikum ist entzückt: So hat man den Meister der Bravour-Arien noch nie erlebt.

Van Rensburgs Inszenieru­ng ist ein großer Coup, der mit High-TechFiness­en arbeitet, wie es bisher auf keiner deutschen Bühne zu sehen war, ein unbändiger Spaß, bei dem einem Hören und Sehen vergehen könnte, hätte man nicht Angst, gleich die nächste glorreiche Pfiffigkei­t zu verpassen. Die fliegenden Omeletts sind optische Täuschung: Mit Blue-Box-Technik – alles, was blau ist, verschwind­et vor einem blauen Hintergrun­d – werden die Sänger auf der karg ausgestatt­eten Bühne gleichzeit­ig in eine virtuelle Szenerie über dem Aktionsrau­m gebeamt: Graf Almaviva und Figaro sitzen unten auf einem blauen Podest mit Lenkrädern – gleichzeit­ig sausen sie oben in schicken 60erJahre-Flitzern durch Sevilla. „Copy and paste“als wahnwitzig­er Spaß – und als Anspielung auf den Komponiste­n, der wie kaum ein anderer die eigene Musik aus weniger erfolgreic­hen Stücken einfach nochmals verwertete. Bunt, quirlig und über- bordend vor Einfällen nutzt van Rensburg Technikmög­lichkeiten, um die Musik-Komödie von 1816 sogar der Youtube-Generation schmackhaf­t zu machen. Er schlägt mächtig auf die Sahne, färbt die deutschen Übersetzun­gstexte, die er ins Bühnenbild wirft, mit gut abgeschmec­kter Ironie ab, lässt saftig fluchen und spielt mit Filmmittel­n auf so vielen Ebenen, dass sich niemand sattsehen kann, wie ein alter Haudegen die Liebe eines jungen Paares verhindern will. Das kann Theater – und ist dabei noch besser als Film, weil gleichzeit­ig alles live passiert und das Visuelle als künstlich erzeugtes Mittel entlarvt wird.

Dass so viel Komik nicht in Lächerlich­keit kippt, liegt auch am Ensemble, das stimmlich, mit Spielbegei­sterung und Präzision glänzt. Levy Sekgapane füllt die Figur des verliebten Grafen mit selten gehörten Stimmfarbe­n. Sein Tenor glüht in den satten tiefen Bereichen und lodert in den Höhen. Die bravouröse Schlussari­e – meist bei „Barbier“Inszenieru­ngen gestrichen – meistert er mit Gefühl und unfassbar großem Atem. Sophie Witte als seine Auserwählt­e Rosina tanzt anmutig durch alle Kolorature­n. Rafael Bruck gibt den selbstverl­iebten Figaro mit Schmalztol­le und baritonale­m Schmelz, und Andrew Nolen verleiht dem fiesen Basilio („Musikant, Intrigant, Arschgeige“) diabolisch­e Dimensione­n. Auch die Niederrhei­nischen Sinfoniker passen sich dem Action-Tempo an – ohne unter Andreas Fellners Leitung die Musik verkochen zu lassen. Im Gegenteil: Jedes Detail machen sie zum Festschmau­s.

 ?? FOTO: M.S. ?? Graf (Levy Sekgapane, l.) und Figaro (Rafael Bruck) technisch gedoppelt.
FOTO: M.S. Graf (Levy Sekgapane, l.) und Figaro (Rafael Bruck) technisch gedoppelt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany