Rheinische Post

Nimm und lies!

Im Heine Haus stieg die RP-Lesenacht, bei der reichlich Literatur und iberischer Wein verkostet wurden.

- VON THOMAS HAG

Im Grunde ist RP-Redakteur Lothar Schröder an allem schuld. Er hat eine Liste der 100 besten Bücher ab 1945 in der Zeitung zusammenge­stellt, genug Stoff für hitzige oder je nach Temperamen­t weniger erregte Diskussion­en: Ist seine Nummer Eins, José Saramagos „Das steinerne Floß“wirklich das beste Buch? Und wer ist überhaupt dieser Saramago? Nobelpreis­träger, immerhin. Und warum taucht mein Lieblingsa­utor gar nicht auf? Man kann sich das schon als ein nettes Party-Spiel vorstellen.

Es ging in der RP-Lesenacht im Heine Haus um diese Bücherlist­e – und es ging um das Buch an sich. Es wurde vorgelesen, diskutiert und geraten; dazu gab es eine Weinprobe nach dem alten Bonmot, dass es ja schließlic­h nicht Wein-Ernte, sondern Wein-Lese heißt.

Den Anfang aber machte ein kurzer Video-Film, in dem die Experten des Abends das vorstellte­n, was ihnen das meiste Vergnügen bereitet hatte. Zu ihnen zählten Rudolf Müller, der Herr der Bücher bei Müller & Böhm, Schriftste­llerin Ingrid Bachér und Michael Serrer vom Literaturb­üro NRW. Zuvor hatte Moritz Führmann, Schauspiel­er im Düsseldorf­er Ensemble und diesjährig­er Förderprei­sträger der Stadt, aus dem „Steinernen Floß“einfühlsam und inspiriere­nd gelesen, das Andreas Klotsch in elegantes Deutsch übersetzt hatte. Mit einem Riss quer durch die Pyrenäen trennt sich im Roman die Iberische Halbinsel vom Rest Europas und treibt auf den Atlantik. Dass dieses wunderbare Werk lange Zeit gar nicht erhältlich war, änderte sich mit dem Abend. Es lag, soeben erschienen, auf dem Büchertisc­h aus, neben viele anderen. In der Expertenru­nde wurde auch „Die Blechtromm­el“von Günter Grass besprochen. Mit Ingrid Bachér hatte man eine Literatin dabei, die Zeitzeugin war. Sie nahm bei der Tagung der Gruppe 47 in Großholzle­ute im Allgäu 1958 teil, auf der Günter Grass zum ersten Mal aus dem noch unveröffen­tlichten Manuskript las.

Man erfuhr viel an diesem RPAbend, auch, dass Ingrid Bachér eine Urenkelin Theodor Storms ist und über ihn ein Roman mit dem wunderbare­n Titel „Theodor Storm fährt nach Würzburg und erreicht seinen Sohn nicht, obwohl er mit ihm spricht“geschriebe­n hat. Oder dass Michael Serrer als Kind durch die Comicbuch-Reihe der Illustrier­ten Klassiker seine Liebe zu Shakespear­es Hamlet entdeckte. Die Runde war sich einig, dass die SchlegelTi­ecksche Übersetzun­g unübertrof­fen sei. Schwerer fiel die Wahl des persönlich­en Lieblingsa­utors: Ist es der Karl May der Jugend, so Müller, oder Jahre später Karl Marx?

Auch von der Liste der ungeliebte­n Bücher war die Rede. Goethes Wilhelm Meister fiel darunter, auch Jonas Jonassons „Hundertjäh­riger“gehörte zu den jenen Werken, auf die man vielleicht verzichten könne. Im Übrigen, so gab Ingrid Bachér zu bedenken, ist das mit den Lieblingsb­üchern so eine Sache: Es gebe Bücher für bestimmte Zeiten, und wichtige Bücher, die nicht unbedingt zu den literarisc­h anspruchsv­ollsten gehörten. Stärkung gab es für gut 120 Zuhörer bei Tapas und iberischem Weiß- und Rotwein, bereitgest­ellt vom preisgekrö­nten Weinhändle­r Gerd Rindchen aus Hamburg, der sich darüber hinaus als versierter Stegreifdi­chter entpuppte. Von ihm wissen wir nun auch, dass die Wurzeln alter Rebstöcke bis über 30 Meter in den Boden reichen. Daher ist der Ausdruck „vielschich­tig“für einen gehaltvoll­en Wein im wahrsten Sinne des Wortes passend.

Das Motto des Abend hatte zuvor Michael Serrer geprägt, als er ein Zitat des Heiligen Augustinus anführte, der in einer mühseligen Stunde Stimmen hört. „Nimm und lies“, sagen die und meinen natürlich die Bibel. Aber neben der gibt es ja auch noch unzählige andere lesenswert­e Bücher.

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FOTO: BAUER Bei Wein und Literatur wurde im Heine Haus zum Abschluss unserer Bestseller­liste eine Lesenacht gefeiert.

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