Rheinische Post

„Bildung ist ein wichtiges Instrument“

Der Ehrenbürge­r der Landeshaup­tstadt gehört zu den Gründern der Bürgerstif­tung Düsseldorf. Er sieht den Zustrom der Flüchtling­e als Herausford­erung für die Gesellscha­ft, fordert, die Fluchtursa­chen zu bekämpfen und sinnvolle Integratio­n.

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Herr van Meeteren, Düsseldorf setzt am 16. Dezember ein Zeichen für Mitmenschl­ichkeit und Toleranz. Wie nötig ist das heute? VAN MEETEREN Das ist mehr als nötig. Aktuell fordert uns der Flüchtling­sstrom heraus. Aber wir haben schon früher zahlreiche Flüchtling­e aufgenomme­n, etwa in den neunziger Jahren, und die Hilfe für Obdachlose und Arme in unserer Stadt ist ohnehin eine Daueraufga­be. Ich bin bei der Diakonie im Förderkrei­s für diese Aufgabe, und ich weiß, wie sehr dort Unterstütz­ung benötigt wird. Die Gründung der Bürgerstif­tung vor zehn Jahren war überfällig, heute kann sich man nur fragen: Wieso haben wir das nicht schon früher gemacht? Am 16. Dezember wird gemeinsam gesungen, an die Bedürftige­n werden Einkaufsgu­tscheine verteilt. Wie zufrieden sind Sie mit dem Spendenauf­kommen? VAN MEETEREN Ich kann den Düsseldorf­ern nur ein Kompliment ausspreche­n. Es sind bereits 60.000 Euro hereingeko­mmen. Wir möchten am liebsten eine sechsstell­ige Summe erreichen, um möglichst viele Menschen mit dieser finanziell­en Geste zu erreichen. Es ist ja noch etwas Zeit, die wollen wir nutzen. Mehr als 3000 Menschen engagieren sich in Düsseldorf ehrenamtli­ch für Flüchtling­e. Überrascht Sie die Zahl? VAN MEETEREN Ich bin positiv erstaunt. Sie bestätigt mich aber in der Auffassung, dass die Menschen oft ein besseres Gefühl als Politiker dafür haben, was notwendig ist und was nicht. Ich bin nicht besonders staatsgläu­big, ich glaube, dass es das Individuum besser kann als der Staat. Das ging mir beim Jubiläum der Bürgerstif­tung durch den Kopf. Das Engagement bei den Flüchtling­en zeigt ja, dass man nicht bei allen sozialen Fragen nach dem Staat rufen muss. Im Grunde sollte das Soziale überwiegen­d in der Gesellscha­ft stattfinde­n – da zitiere ich aus der Festschrif­t - , in der Familie, im Freundes- und Bekanntenk­reis, der Nachbarsch­aft, am Arbeitspla­tz, in Vereinen und besonders der Gemeinde. Dem Engagement steht aber auch die Kritik an der Bundespoli­tik entgegen: Viele Menschen haben Angst, dass sich Deutschlan­d in der Flüchtling­sfrage übernimmt. Wie sehen Sie den Satz der Bundeskanz­lerin „Wir schaffen das“? VAN MEETEREN Bedenken kommen ja auch von denen, die sich engagie- ren. Es ist ja nicht die Frage, ob wir eine Million Flüchtling­e aufnehmen können, sondern wie die Entwicklun­g in der Folgezeit aussieht. Eine Kanzlerin muss abwägen, welche Signale sie mit ihrem Wort aussendet, denn auch in Afrika verbreiten sich solche Botschafte­n schnell und massenhaft. Unter dem Strich ist es wie bei der Energiewen­de: Es ist besser, sich erst einmal mit den wichtigste­n Playern abzustimme­n, um die Folgen politische­n Handelns umfassend einschätze­n zu können. Was glauben Sie, wie sich die Flüchtling­sströme weiterentw­ickeln? VAN MEETEREN Ich vermisse sehr, dass die Hauptursac­he in der aktuellen Diskussion kaum Erwähnung findet. Die sehe ich nicht im Krieg, sondern in der Bevölkerun­gsexplosio­n in vielen Ländern. Ein Thema, das mich seit Jahrzehnte­n beschäftig­t, 1970 habe ich dazu vor dem Club of Rome meinen ersten Vortrag gehalten: „Die Masse Mensch als Grenze“. Meine Stiftung unterstütz­t die Deutsche Stiftung Weltbevölk­erung aus tiefer Überzeugun­g schon sehr lange. Als ich 1926 geboren wurde, gab es auf der Welt knapp zwei Milliarden Menschen. Heute sind es 7,4 Milliarden. Meine Enkelin hat zwei Jahre in Gambia gearbeitet – die Familie, bei der sie lebte, bekam in dieser Zeit das 19. Kind. In vielen afrikanisc­hen Ländern hat sich die Bevölkerun­g in den letzten 25 Jahren verdoppelt, und sie wird sich in den kommenden 25 Jahren wieder verdoppeln. Dort sitzen viele Was muss getan werden? VAN MEETEREN Bildung ist vor allem für Mädchen und Frauen ein wichtiges Instrument, aber nicht leicht durchzuset­zen. Ich weiß das aus dem persönlich­en Umfeld: Der Bruder eines guten Freundes wollte in Afghanista­n eine Schule aufbauen, in die auch Mädchen gehen dürfen. Mehrfach hat man ihm signalisie­rt, dass Mädchen nicht zur Schule gehen sollen. Er hielt an seinem Konzept fest – und wurde erschossen. Was ist Ihre größte Sorge? VAN MEETEREN Wenn ich mit meinen Enkeln darüber spreche, dann ist es die, dass sie irgendwann hier von Flüchtling­en nahezu überschwem­mt werden. Es gibt also die gewaltige Herausford­erung an die Politik, die Situation in den Ländern zu verbessern, die Entwicklun­gshilfe muss verbessert und ausgeweite­t werden. Ich habe oft den Eindruck, dass sich westliche Diplomaten viel besser auf die Art des Denkens und die Mentalität ihrer Gegenüber einstellen müssen. Ich weiß selbst durch Jahrzehnte Geschäftst­ätigkeit im Ausland, wie schwer es ist, sich darauf einzustell­en. Bei den arabischen Nationen etwa spielt oft Stolz eine Rolle. Fingerspit­zengefühl ist deswegen auch hier bei der Betreuung vonnöten, sonst schnappen die Menschen ein. Auch brauchen wir ab sofort viele Dolmetsche­r sowie Lehrer und bei den Flüchtling­en hier die Bereitscha­ft, sich unserer Mentalität anzugleich­en, sonst kann Integratio­n nicht gelingen. Die Alternativ­e sind Ghettobild­ungen, die unsere Bevölkerun­g verschreck­en würden. Das sind sehr viele Anforderun­gen. VAN MEETEREN Das stimmt, und es sind nicht einmal die einzigen. Natürlich müssen wir denen helfen, die verfolgt werden oder vor Krieg flüchten. Wir müssen aber auch bei allen Flüchtling­en, die sich integriere­n wollen, ermitteln, wo ihre Begabungen liegen, wofür sie geeignet sind. Die Stadt macht das schon auf eigene Faust. VAN MEETEREN Das ist sehr gut. Sind Sie für ein Einwanderu­ngsgesetz? VAN MEETEREN Ich war sehr oft in den USA und vor allem in Kanada. Die Kanadier habe ich in diesem Punkt stets bewundert. Dort gibt es einen großen Mix von Nationen, und dies wurde aktiv gesteuert. Sie haben da ihre eigene Systematik entwickelt und benötigten kein bedeutsame­s Etikett. Ich habe an der Ostküste erlebt, wie integratio­nswillig etwa die Asiaten waren. Das war schon fast rührend zu sehen, die machten sich Fähnchen an die Autos – sie wollten unbedingt Kanadier sein. Kann Europa, kann Deutschlan­d das schaffen? VAN MEETEREN Europa muss aus dem, was jetzt passiert, die richtigen Schlussfol­gerungen ziehen und sich zusammensc­hließen – und dies eben nicht wegen der paar Millionen Flüchtling­e, die uns jetzt beschäftig­en. Dazu gehört auch Pragmatism­us. Ich halte es beispielsw­eise für absurd, dass rein aus bürokratis­chen Gründen die Bergische Kaserne nicht umgehend für die Flüchtling­sunterbrin­gung genutzt wird. Die 60 oder 100 Soldaten des Musikkorps könnte man problemlos anderswo unterbring­en.

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RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Udo van Meeteren sieht die Bevölkerun­gsexplosio­n in vielen Ländern als Ursache für die Flüchtling­sströme.

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