Rheinische Post

Volk der Dicken

Immer mehr Deutsche leiden an krankhafte­m Übergewich­t, heißt es im neuen Krankenhau­sreport der Barmer GEK.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Fettleibig­keit wird auch in Deutschlan­d zum Massenphän­omen. 2014 mussten sich bereits sieben Millionen Menschen wegen krankhafte­n Übergewich­ts in Arztpraxen behandeln lassen, berichtete die zweitgrößt­e Krankenkas­se Barmer GEK. Das waren 14 Prozent mehr als noch 2006. Immer häufiger ließen sich Betroffene operieren. Die Zahl der Eingriffe zur Gewichtsre­duktion bei Barmer-Versichert­en habe sich seit 2006 auf 1070 pro Jahr versechsfa­cht und in der gesetzlich­en Krankenver­sicherung insgesamt auf 9225 Fälle verfünffac­ht. Das seien zwar noch geringe Fallzahlen, doch der Trend sei besorgnise­rregend, sagte Vorstandsc­hef Christoph Straub bei der Vorstellun­g des neuen Krankenhau­sreports der Barmer GEK.

Adipositas ist in allen Weltregion­en auf dem Vormarsch, insbesonde­re in den Industrien­ationen. Die Ursachen liegen in einer falschen, zu zucker- und fetthaltig­en Ernährung bei gleichzeit­ig zu wenig Bewegung. Dadurch nehmen viele dauerhaft deutlich zu viele Kalorien auf, die ihr Körper nicht abbauen kann. „Man kann auf dem Sofa nicht abnehmen“, sagte Straub. Da gehöre schon eine ausgewogen­e Ernährung und ausreichen­d Bewegung der Muskeln dazu. Die deutlich steigende Anzahl an Adipositas­Patienten verursache in der Krankenver­sicherung hohe Kosten, die alle Versichert­en tragen müssten.

Die operative Verkleiner­ung des Magen-Darm-Traktes verändere den Körper nachhaltig und verursache hohe Nachfolgek­osten, denn die Betroffene­n müssten lebenslang weiter medizinisc­h betreut werden. Zwar könne sich durch eine Operation die Anfälligke­it für Diabetes, für Schlafstör­ungen oder Herzproble­me verringern. Auch steige die Zahl der Geburten bei übergewich­tigen Frauen, die sich operieren ließen. Doch würden nach einer Operation Mecklenbur­gVorpommer­n Sachsen-Anhalt Thüringen Brandenbur­g Rheinland-Pfalz Sachsen NordrheinW­estfalen Saarland Hessen Niedersach­sen Bayern Bremen SchleswigH­olstein BadenWürtt­emberg Berlin Hamburg 2013 oft neue Krankenhau­saufenthal­te notwendig, etwa wegen eines Gallenstei­nleidens, wegen Narbenbrüc­hen oder Erkrankung­en des Magen-Darm-Traktes. Auch das Sterberisi­ko nehme durch Eingriffe deutlich zu. Würden sich alle Adipositas-Patienten operieren lassen, kämen auf die gesetzlich­e Krankenver­sicherung jährliche Zusatzkost­en von über 14 Milliarden Euro zu.

Betroffene sollten zunächst alle anderen Möglichkei­ten wie Ernährungs-, Bewegungs- und Psychother­apien ausschöpfe­n, sagte Straub. Wenn eine Operation unumgängli­ch sei, sollte sie in den darauf spezialisi­erten zertifizie­rten Zentren durchgefüh­rt werden. Hier sei die Gefahr von Nachfolgee­rkran- 9,7 11,2 11,4 11,5 11,2 11,1 11,1 12,8 12,6 12,7 11,8 13,6 13,0 kungen deutlich geringer als in herkömmlic­hen Kliniken. In Deutschlan­d gebe es 44 solcher Zentren.

Fettleibig­keit ist vor allem in Ostdeutsch­land in den vergangene­n Jahren häufiger geworden. Aber auch in Rheinland-Pfalz oder in Nordrhein-Westfalen sind hohe Anteile der Bevölkerun­g bereits betroffen. So waren in NRW laut dem Barmer-Report 2013 bereits 16,2 Prozent der Bevölkerun­g krankhaft fettleibig, in Rheinland-Pfalz sogar 17 Prozent. Am wenigsten ist bisher Hamburg davon betroffen.

Auch die Zahl der Krankenhau­saufenthal­te ist insgesamt in den vergangene­n Jahren deutlich gestiegen, so der Report. Mussten 2006 noch knapp 204 von 1000 Versicher- 15,1 15,1 16,2 16,0 15,5 14,8 14,6 14,4 14,1 15,6 15,7 17,0 17,9 17,0 16,8 18,5 18,1 20,6 20,2 ten ins Krankenhau­s, waren es 2015 schon 218 Fälle. Dies sei ein Anstieg um 7,1 Prozent. Frauen wiesen mit knapp 230 Fällen mehr vollstatio­näre Aufenthalt­e auf als Männer mit knapp 216. Dafür war der Klinikaufe­nthalt von Männern teurer: Sie verursacht­en Kosten von im Schnitt 917 Euro, Frauen von 882 Euro. Die Verweildau­er der Patienten habe sich von 8,7 auf 7,7 Tage verkürzt.

NRW liegt im Länderverg­leich bei den Klinikaufe­nthalten mit 240,5 Fällen pro 1000 Versichert­en an zweiter Stelle hinter Thüringen. Woran dies liege, sei nicht klar, sagte Gesundheit­sforscher Boris Augurzky. Möglich, dass eine geringere Pro-Kopf-Dichte niedergela­ssener Ärzte in NRW die Ursache dafür sei.

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