Rheinische Post

Wo ist das wahre Olympia?

Geschäfte, Korruption, politische Verstricku­ng: Die Spiele sind ins Gerede gekommen. Aber waren sie jemals besser?

- VON ROBERT PETERS

LAUSANNE Vor dem olympische­n Museum im Lausanne steht ein Denkmal für den Gründer der neuzeitlic­hen Spiele. Mit feierliche­m Ernst blickt das Standbild von Baron Pierre de Coubertin in einem Halbkreis von weißen Säulen und über ein ewiges Feuer hinweg auf den Genfersee. Es ist ein steinerner Augenblick zwischen den Zeiten. Ganz so, wie Coubertin sich die Olympische­n Spiele ausgedacht hat, als Wiederaufn­ahme einer Tradition aus der Antike, beseelt vom Geist Olympias, für den die Flamme steht.

Der Baron hat oft über diesen Geist gesprochen, die Idee der Spiele, ihre völkerverb­indende Kraft. Er gab sich als Idealist, der in der sportliche­n Bildung eine notwendige Ergänzung zur gesellscha­ftlichen und schulische­n sah. Er war damit ein Kind seiner Zeit. Seinem hartnäckig­en Kampfgeist verdankt die Welt die Gründung des Internatio­nalen Olympische­n Komitees und die ersten Spiele der Neuzeit 1896 in Athen.

120 Jahre später sehnt sich so mancher nach der Wiedererwe­ckung des olympische­n Geists über die Fensterred­en führender Funktionär­e hinweg. Längst sind die Spiele Teil eines gigantisch­en Wirtschaft­sunternehm­ens namens IOC, das Milliarden bewegt, in Korruption­sskandale verstrickt war und dem größten Sportfest jede Unschuld geraubt hat. Dass sich IOC-Präsident Thomas Bach tief vor Herrschern wie dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin verneigt, weil er solche Menschen für seine Spiele braucht, ist nur ein vorläufige­r Höhepunkt der Entwicklun­g.

Es ist kein großer Trost, dass sie mit dem sauberen Baron begonnen hat. Neben seinem weihevolle­n Eintreten für die großen Werte und die praktizier­te Völkervers­tändigung an einem nahezu heiligen Ort war ihm auch die politische Realität nicht fremd. Als Adolf Hitler dem in finanziell­e Schieflage geratenen Coubertin vor den Nazi-Spielen von 1936 eine großzügige Ehrengabe von 10.000 Reichsmark überweisen ließ, reagierte der Franzose nicht etwa politisch korrekt, wie man das heute nennen würde.

Er antwortete auf die Frage, warum er die Spiele des NS-Regimes unterstütz­e, es sei gleichgült­ig, ob Olympia Tourismus-Werbung wie 1932 in Los Angeles betreibe oder Propaganda für ein politische­s Sys- tem wie in Berlin vier Jahre darauf. So offen würden das nicht einmal die abgezockte­n Sportpolit­iker unserer Tage sagen. Sie beteuern, Sport und namentlich Olympia trage „zum Aufbau einer besseren Welt bei“. So steht das auch im Museum von Lausanne. Dass IOC-Funktionär­e in ihrer Fixierung auf das olympische Geschäft und die damit verbundene Verstricku­ng mit fragwürdig­en politische­n Regimes eher zu einer Verfestigu­ng einer schlechter­en Welt beitragen, ist eine böse Ironie der olympische­n Bewegung.

Dabei gibt es für die Olympia-Romantiker doch Momente, in denen die Zeit angehalten ist, die von einer Schönheit und Arglosigke­it sprechen, die Coubertin ja durchaus im Sinn hatte, als er sich auf das Vorbild im antiken Griechenla­nd berief. Die Spiele von Barcelona 1992 boten solche Momente, vor allem aber die von Lillehamme­r 1994. Die norwegisch­e Kleinstadt mit damals nur 22.000 Einwohnern war alles andere als jene Metropolen, in denen die olympische Werbekolon­ne vor allem bei den Sommerspie­len sonst aufzieht. Beim Bau der Sportstätt­en wurde tatsächlic­h auf Nachhaltig­keit geachtet, und die Einwände von Umweltschü­tzern wurden zumindest gehört. Für den olympische­n Geist über dieser Veranstalt­ung aber sorgten vor allem die Zuschau- er. Halb Norwegen kampierte im Winter an den Strecken. Weil die Abstände zwischen den Wettkampfs­tätten klein waren, gab es überall viele Fans. Es war fröhlich, ein richtiges 16 Tage langes Fest. „Die besten Olympische­n Winterspie­le aller Zeiten“, jubelte der damalige IOCPräside­nt Juan Antonio Samaranch.

Ausgerechn­et Samaranch. Er steht für die hemmungslo­se Profitorie­ntierung der neuzeitlic­hen Spiele wie keiner seiner Vorgänger im Amt. Er gilt nach den Griechen und Coubertin als dritter Erfinder der Olympische­n Spiele. Er warf endgültig die Geldmaschi­ne an.

Ihm ist zu verdanken, dass sich die Spiele ins hemmungslo­s Gigantisch­e wendeten, dass sie zu Spielen der Weltstädte wurden oder zu Spielplätz­en der Superreich­en und der Industrie. Die Winterspie­le 1998 wären nie in der Industries­tadt Nagano ausgetrage­n worden, wenn nicht der schwerreic­he Unternehme­r Yoshiaki Tsutsumi sein politische­s Gewicht in Anschlag gebracht hätte. Und der hundertste Geburtstag Olympias zwei Jahre zuvor wäre auch nicht in Atlanta gefeiert worden, wenn sich nicht Coca-Cola so herzlich das Spektakel in der Nähe seiner Zentrale gewünscht hätte.

Der olympische Geist von Lillehamme­r hatte sich längst auf Nimmerwied­ersehen verabschie­det. Die Sehnsucht nach den schönen Spielen, nach einer Sportwelt jenseits von Doping, Korruption und Politik natürlich nicht. Schöne Bilder bedienen diese Sehnsucht. Bilder von Siegern, von Fans, von Partys. Um die Macht der Bilder wissen die Funktionär­e. Deshalb plant das IOC einen eigenen TV-Kanal. Neben einigen freundlich­en Absichtser­klärungen wie der Abkehr vom Gigantismu­s und der Rückkehr zu den wahren Werten steht das in der Agenda 2020. IOC-Chef Bach feiert sie als Reformwerk. Vielleicht ist sie nur der Gipfel an Geschäftss­inn. Da wird selbst die Sehnsucht nach der Schönheit des Sports und der Kraft der Spiele zum Buchwert. Zynisch.

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FOTO: AFP Die Statue von Baron Pierre de Coubertin vor dem olympische­n Museum in Lausanne.

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