„Krebs war Nagelprobe für meinen Glauben“
Der Ruhrbischof über sein Leben, Flüchtlinge, den Familienschnaps im Keller und seine Vorliebe fürs morgendliche Joggen.
ESSEN Von welchen inneren Überzeugungen lassen sich Menschen leiten? „Kurs halten“heißt unsere Sommerserie mit Interviews zu dieser großen Frage. Diesmal trafen wir dazu Franz-Josef Overbeck am Brunnen vor seinem Haus, der die Entstehung des Ruhrbistums 1958 aus Teilen und Quellen der Bistümer Köln, Paderborn und Münster zeigt. Können Sie über „Kurs halten“sprechen, ohne dass Kirche und Glauben dabei eine Rolle spielen? OVERBECK Wenn es um Orientierungsfragen des Lebens geht, ist das für mich ohne Kirche und Glauben nicht möglich. Ist Kurs halten gut oder manchmal auch ein Zeichen von Starrsinn? OVERBECK Nicht unbedingt. Wenn man das deutsche Wort ernst nimmt, stehen dahinter sehr klare Orientierungen, die auch zu verfolgen und hoffentlich in allen Lebenssituationen anwendbar sind. Mussten Sie denn schon einmal einen Kurs in Ihrem Leben ändern? OVERBECK Nicht für meine grundlegenden Perspektiven. Das hört sich nach einem extrem geradlinigen Leben an. OVERBECK Soweit ich mich selbst wahrnehmen kann, würde ich das so sagen. Das können aber nicht viele Menschen von sich behaupten. OVERBECK Das stimmt. Mein Weg aber hat sich für mich als richtig erwiesen – das kann ich zumindest jetzt mit 52 Lebensjahren sagen. Dazu gehört meine Grundsatzentscheidung, als Christ leben zu wollen und als Priester und Bischof wertorientierend zu handeln. Menschen bezeichnen so etwas als Glück, ich würde es Gnade nennen. Fast 100 Kirchen Ihres Bistums werden nicht mehr genutzt; der Abschied von der Volkskirche ist längst vollzogen. Sind Sie manchmal verzagt? OVERBECK Nein. Unsere Grundüberzeugungen sind richtig. Das heißt auch: sie sind nur in großen Zusammenhängen zu verstehen. Man muss viel stricken, damit ein Gewebe entsteht, das auf Dauer trägt. Dabei kommen dem Bistum und mir als Bischof eine wichtige Rolle zu. In einer solchen Lage gehöre ich nicht zu den Männern, die verzagen. Auch wenn es manchmal mühselig ist, wie das Besteigen eines Berges, wobei einem nicht jede Etappe gleich leicht fällt. Sisyphos kommt Ihnen dabei aber nicht in den Sinn? OVERBECK Nein, ich bin ja kein griechischer Tragödienmann, sondern ein katholischer Bischof. Wobei Mythen auch etwas über das Wesen des Menschen erzählen. OVERBECK Das stimmt. Aber da halte ich es lieber mit der existenziellen Auslegung der Heiligen Schrift. Und Sie schöpfen Ihre Kraft allein aus dem Glauben? OVERBECK Natürlich gehören auch ein paar andere Dinge zu meinem Leben – wie Kultur und Sport, die nicht sofort gläubig durchtränkt sind. Der Glauben bleibt aber der Grund meines ganzen Lebens. Wer mich hat, der hat mich immer als glaubenden Menschen. Welchen Sport treiben Sie? OVERBECK Ich jogge. Zwei- bis dreimal die Woche. Und wenn ich morgens laufen kann, ist das immer sehr erfrischend. Laufen Sie dann alleine? OVERBECK Ja. Aus Überzeugung? OVERBECK Nein, es ist einfach eine pragmatische Lösung. Bei meinem Alltag wüsste ich kaum, wie ich einen Mannschaftssport betreiben könnte, ohne allzu viele Kompromisse einzugehen. Wie wichtig ist „Kurs halten“der Ausgangshafen – also Heimat, Familie? OVERBECK Ich komme aus einer alten Familie mit einer langen Geschichte. Zugleich ist das aber nicht der Antiquitätenladen meines Lebens, in den ich mal hineingehe und irgendetwas aus den Regalen hole. Eine Tradition Ihrer Familie war auch das Schnapsbrennen. OVERBECK Ja, aber heute nicht mehr. Ein paar Flaschen gibt es noch, die liegen bei mir im Keller. Hochprozentiges? OVERBECK Ja, hochprozentig – 38 Prozent. Weizenkorn und Doppelkorn, manchmal auch versetzt mit irgendwelchen Früchten. Ich bin aber gar kein Freund von Schnaps und darum ein schlechter Werbeträger für meine Familie – auch wenn vom Overbecks Korn und Overbecks Geist die Rede war. Sie sind auch Militärbischof und haben unter anderem Soldaten in Af- ghanistan besucht. Können Sie die Flüchtlingssituation in unserem Land dadurch besser verstehen? OVERBECK Ich habe sie zumindest früher vorhersehen können. Für das Verständnis der jetzigen Situation hier in Deutschland sind andere Parameter von Bedeutung als das Verständnis für die Ausgangslage, die die Menschen dazu gebracht und gedrängt hat, ihre Heimat zu verlassen. Kein Mensch geht in der Regel gerne von zu Hause weg. Zugleich ist das ein Phänomen einer zunehmenden Globalität, was man gut im Ruhrgebiet beobachten kann. Muss man nicht auch die Ursachen der Flüchtlingsbewegungen stärker ins Auge fassen und intervenieren? OVERBECK Die parlamentarisch legitimierten Einsätze der Bundeswehr werden mit Sicherheit zunehmen. Das ist aber nicht beliebig ausdehnbar. Wir merken zunehmend, dass Grenzen die Menschen nicht mehr Mit 38 Jahren wurde bei Ihnen eine schwere Krebserkrankung diagnostiziert. Was dachten Sie damals? OVERBECK Ich weiß noch, dass ich damals dachte: Wenn ich jetzt sterben sollte, werde ich mich darauf vorbereiten, denn ich bin Christ. Ich werde zwar alles tun, leben zu können. Aber ich weiß auch, dass das Leben endlich ist. Der Mensch stirbt eben immer erst am Ende seines Lebens – egal, ob das heute ist oder erst in 30 Jahren. So lebe ich jeden Tag. Aber dennoch gibt es einen berechtigten Egoismus, im jungen Alter ein paar Jahre mehr erleben zu dürfen OVERBECK Ja, sicher. Aber mir damals klar, dass es eine Nagelprobe des Glaubens sein wird. Interessanterweise hat mich das in meinem Glauben eher bestärkt. Sind Sie als ein anderer Mensch aus Ihrer Krankheit herausgekommen? OVERBECK Ja. Inwieweit? OVERBECK Danach war meine Jugend zu Ende.