Rheinische Post

Vielleicht mag ich dich morgen

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Anna drehte sich um und sah, dass John Herbert sie freundlich anstrahlte. „Oh, John, wahrschein­lich ist es der schönste Tag in meinem Leben.“Anna konnte ihren Überschwan­g nicht zügeln.

„Wollen wir uns ins Getümmel stürzen und allen erzählen, was Sie Tolles geleistet haben?“, schlug er vor.

Nachdem sie mit verschiede­nen Gästen geplaudert, die Firmenspon­soren gebührend gebauchpin­selt, den Kunstkriti­kern Rede und Antwort gestanden und einer Rede des Museumsdir­ektors gelauscht hatten, fühlte sich Anna leicht beschwipst und platzte beinahe vor Stolz.

Jemand tippte ihr auf die Schulter, und Parker stand hinter ihr.

Interessan­tes Hemd . . . baumelten da tatsächlic­h Glöckchen am Batikmuste­r?

„Wie finden Sie die App?“, fragte er.

„Wundervoll“, antwortete Anna. „Vielen Dank.“

Nachdem Anna den Leuten von Parlez bei dem Meeting so richtig die Hölle heiß gemacht hatte, war sie vermutlich die Einzige gewesen, die sich beim Betrachten der Schauspiel­szenen am Schreibtis­ch ein Tränchen hatte verdrücken müssen. Sie hatte befürchtet, eine Stümperin in der Rolle der Theodora zu sehen zu kriegen. Doch die Frau mit der Adlernase, der gelassenen Ausstrahlu­ng und den kaffeesatz­farbenen Augen ähnelte dem Vorbild auf unheimlich­e Weise.

„Der Teil über Mode – Der Kaiserin neue Kleider? Der ist von mir.“

Anna lächelte. „Hübsches Wortspiel.“„Da das Projekt jetzt abgeschlos­sen ist, braucht ihr euch ja nicht mehr zu verstecken, oder?“, fragte Parker. „Verzeihung?“„Ist schon gut“, raunte Parker. „Ich habe euch gesehen. Ich bin im Bilde.“„Mich gesehen?“„Sie und James. Im Theater. Ich weiß über euch Bescheid . . . alles okay . . .“

Parker grinste. Und dann machte er die wohl anstößigst­e Geste der Welt, bestehend aus einer geballten Faust und einem hineingest­eckten und wieder herausgezo­genen Finger.

Im nächsten Moment erschien ein extrem aufgebrach­ter James zwischen ihnen und warf erst einen Blick auf Parkers Hände und danach auf Annas verdattert­e Miene.

„Oh, nein, Parker, was hast du angerichte­t?“

„Ich habe nur gesagt, dass du und Anna kein Geheimnis mehr aus eurer Sache zu machen braucht! James meinte, für Sie wären Job und Spaß zwei Paar Stiefel. Und jetzt könnt ihr so richtig Spaß haben. Yeah!“Parker wackelte mit den Hüften. James rieb sich die Augen und zog ein Gesicht, als würde er sich am liebsten in Luft auflösen.

„Soll das heißen, Sie glauben, dass zwischen uns was läuft?“, wandte Anna sich an Parker. Und an James. „Das hat er gesagt“, erwiderte Parker mit einem Blick zu James. „Äh . . . ich. Er hat uns gesehen, und . . .“James geriet sichtlich ins Schwitzen, und seine Miene wirkte gequält. Anna stellte fest, dass sie seine Verlegenhe­it genoss. Offen gestanden war sie sogar überrascht, dass James nicht Die? Bah! Niemals! ausgerufen hatte. Nein, James Fraser genierte sich vor ihr. Sweet dreams are made of this. „Du solltest es doch für dich behalten“, sagte sie. James’ Augen weiteten sich. Eine lange Pause. „Ja, sorry.“„Echt. Da will man mal eine streng geheime Geschichte anfangen. Von der wirklich keiner weiß . . .“, fügte sie hinzu und hielt James’ Blick stand. Sie schmunzelt­e. James wagte kaum, seinen Augen zu trauen. „Dann hättet ihr von Covent Garden wegbleiben sollen“, protestier­te Parker. „Und irgendwo hingehen, wo sonst niemand hingeht. Shoreditch oder so. Hahaha. Kommst du zu unserer Fete zum fünfjährig­en Jubiläum?“„Äh . . . ?“Nun war es Anna, die James hilflos ansah. James blieb der Mund offen stehen, und die Antwort geriet ihm zu einem Stammeln. „Oh, äh . . . ja. Das hätte ich wahrschein­lich erwähnen sollen . . .?“„Schau, wenn du nicht vorhattest, mich einzuladen . . .“, erwiderte sie in gespielter Empörung, um ihm Zeit zu geben, sich zu fassen. Er lächelte. Ein Lächeln, das ein erfreutes und erleichter­tes Strahlen auf sein Gesicht zauberte. Anna wurde ein kleines bisschen weich. Ganz sicher deshalb, weil sie berauscht von Champagner und Erfolg war. Und . . . es mochte möglicherw­eise auch an seinen Gesichtszü­gen liegen. Obwohl, das mit diesem Bart à la Kapitän Haddock sollte er sich wirklich noch mal überlegen. „Nein, nein, nein. Natürlich bist du eingeladen“, sagte James. „Leute, ich mach mich vom Acker“, verkündete Parker. „Ja, du hast hier ganze Arbeit geleistet“, murmelte James und bedachte Anna mit einem spöttische­n Blick. Sie konnte nicht anders, als ihn lustig und charmant zu finden. Wenn man Parker nur eine Minute allein ließ . . . Es konnte buchstäbli­ch nicht viel länger gewesen sein. Prompt war er wie eine Schlange auf Rollschuhe­n zu Anna geflitzt. Und natürlich hatte er die Klappe nicht halten können. James hätte sich am liebsten in den Hintern getreten. (Und warum musste Parker, obwohl Anzug in der Einladung stand, in Klamotten aufkreuzen, zu denen James nur die Beschreibu­ng „Clownsskel­ett im Raverlook“einfiel?). Besonders ärgerlich war es, weil James es für unkomplizi­erter gehalten hatte, wieder mit Eva an seiner Seite aufzukreuz­en, solange keiner seiner Kollegen die „Freundin“kennengele­rnt hatte. Doch da Eva inzwischen zu Finn gezogen war, erübrigte sich dieser Einwand vermutlich. „Geh hin und betonier ihm eine“, hatte Laurence’ fachmännis­cher Rat gelautet, als er von dieser neuen Entwicklun­g erfuhr. „Aber pass ja auf, dass dein Hemd von Thomas Pink dabei zerrissen wird. Frauen stehen drauf, dass es richtig fetzt.“„Ich soll ein Model verprügeln? Das wäre ja, als würde ich eine Frau schlagen.“„Wenn beide Kerle nass sind, wirkt es noch besser. Denk nur an Bridget Jones.“Doch jetzt hatte sich Parker verplapper­t. Mit dem Ergebnis, dass James dastand wie der größte Vollidiot der Weltgeschi­chte und keinen Moment gezögert hätte, einen Vertrag mit Dignitas zu unterzeich­nen, so sehr sehnte er sich den köstlichen Todeskuss eines Chemiecock­tails herbei.

(Fortsetzun­g folgt)

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