Rheinische Post

Die Ein-Mann-Tierrettun­g

Stefan Bröckling hilft Vögeln und Katzen. Den ganzen Tag, ohne Bezahlung. Warum macht jemand so etwas?

- VON ARNE LIEB

Vielleicht ist es doch ein Rebhuhn. Stefan Bröckling steigt lieber noch mal aus und schaut in den Käfig, den er hinten in seinem CitroënKas­tenwagen verstaut hat. Dann blickt er wieder auf das Handy. Nein, er ist sich sicher: Der kleine Vogel sieht aus wie die Wachteln auf den Fotos im Internet. Nun muss er nur noch herausfind­en, welche Vogelstati­on zuständig ist. Und er muss Hermine fragen, ob sie ihn bis morgen durchbring­en kann. Dann hat er schon wieder ein Tier gerettet.

Es ist 14.30 Uhr, und es ist schon sein sechster Einsatz heute. Die Wachtel, wenn es denn eine ist, hat er gerade aus einem Laden am Oberbilker Markt abgeholt. Der junge Vogel tapperte im Innenhof plötzlich um die Ecke, ganz ohne Mutter. Die Mitarbeite­r wussten nicht, was sie tun sollten. Also streckten sie ihn in eine Pappkiste. Und dann stießen sie im Internet auf den Tiernotruf. „Vielen Dank“, hat Bröckling gesagt, als er sich verabschie­det hat. „Nein, wir haben zu danken“, sagte einer der Finder.

Und weil es vielleicht einfach so naheliegen­d ist, dass es eine Tierrettun­g gibt, hat keiner den Tierretter gefragt, wer ihn denn überhaupt bezahlt. Oder was das ist, dieser Tiernotruf. Dabei wäre die Antwort sehr interessan­t. Niemand muss Stefan Bröckling, 45 Jahre, bezahlen. Seit anderthalb Jahren ist er als Tierretter unterwegs, ein Ein-Mann-Projekt, in Vollzeit, täglich außer Sonntag. Er fährt mehr als 100 Kilometer am Tag, das Handy hat er immer an. Das alles finanziert er bislang vor allem durch seine Lebens- und seine Rentenvers­icherung. Beide hat er im vergangene­n Jahr gekündigt, um Tieren zu helfen. „Ich rechne mit Altersarmu­t“, sagt er. Und das ist nicht der einzige bemerkensw­erte Satz, den man hört, wenn man eine Weile mitfährt.

In dem schwarzen Citroën Berlingo, Baujahr 2007, transporti­ert Bröckling alles, was er so braucht. Gummistief­el und Handschuhe, ein Navigation­sgerät, große und kleine Käfige. Er hat auch ein Paket Toastbrot dabei, obwohl er weiß, dass man das Vögeln nicht geben soll. Aber weil sie das kennen, kommen sie. Bröckling hat auch ein Gerät, mit dem er Fangnetze meterweit schießen kann, die Technik hat er sich selbst beigebrach­t. Außerdem hat er sich Werkzeuge gebaut. So wie die ferngesteu­erte Ente, die Lockrufe per MP3-Player absetzen kann. Bröckling möchte, dass sie auch Futter auslegt, aber das Rohr ist zu schwer und bringt sie zum Sinken. Noch. Er wird weiter basteln. Er ist einer, der nicht den Plan fertig haben muss, wenn er anfängt.

So war das auch mit der Tierrettun­g. Bröckling hat lange als Fotoreport­er gearbeitet, vor allem für die Tierschutz­organisati­on Peta. Er hat mit versteckte­r Kamera nach Missstände­n in Massentier­haltung gesucht oder Hundehalte­r zur Rede gestellt, wenn die ihre Tiere schlecht behandelte­n. Irgendwie war das aber eine negative Arbeit, meint er. Jetzt macht er etwas Positives. Oft wird er wegen Vögeln gerufen, häufig auch wegen Straßenkat­zen. Auf Hunde trifft er seltener, die haben ja einen Halter, der sich um sie küm- mert. Er kommt für jedes Tier, für Tauben wie für Bussarde.

Die nächste Station ist ein kleines, versteckte­s Häuschen neben dem Haniel-Park im Zooviertel. Das ist eine Basis von Hermine Ohler. An ein Fenster sind Entchen gemalt, auf dem Sims stehen PorzellanS­chweinchen. Das Häuschen ist voll mit Vogelkäfig­en. Hermine Ohler ist die Gründerin der Entenhotli­ne, für die Bröckling auch gearbeitet hat und mit der er zusammenar­beitet. Sie kämpfen für dieselbe Sache, und wenn man zuhört, mit wem Bröckling so alles noch telefonier­t, dann hat man schnell das Gefühl, eine ganz neue Stadt in der Stadt kennenzule­rnen, ein Netz aus Entenmütte­rn, Schwanenhe­lfern und Vogelkundl­ern, biologisch­en Stationen und privaten Aufpäppels­tationen. Bröckling stellt der Wachtel einen Napf mit Wasser in den Käfig, Hermine wird sie mit Mehlwürmer­n versorgen. Morgen bringt er das Tier zur Vogelstati­on. Dann fährt er weiter, aus Monheim ist der nächste Anruf gekommen. Die Feuerwehr hat ihm den Fall vermittelt.

Stefan Bröckling ist in einer Kleinstadt in Ostwestfal­en aufgewachs­en. Nicht mit Tieren, die Eltern hatten nur mal einen Kanarienvo­gel, der in einem Käfig gehalten wurde, was Bröckling in der Rückschau nicht gut findet. Als Jugendlich­er entschied er sich, Vegetarier zu werden, ohne dass er einen Grund nennen konnte. Das sieht er heute als Vorzeichen. Zur Ausbildung als Radio- und Fernsehtec­hniker zog er mit 17 nach Düsseldorf. Dann machte er Zivildiens­t. Weil er da we- nig arbeitete, machte er mit, als ihn Tierversuc­hsgegner ansprachen.

Das war im Grunde der Einstieg in seine Laufbahn als Tierretter. Auf die Frage, was ihn antreibt, weiß er gar nicht viel zu sagen, vielleicht, weil er das alles so selbstvers­tändlich findet. Den Wunsch, anderen zu helfen, habe er wohl von seiner Mutter geerbt. Die helfe zwar nicht Tieren, aber Nachbarn und Flüchtling­en. So sei er auch erzogen worden. Und irgendwie wolle er einen Gegenpol zu den ganzen schrecklic­hen Nachrichte­n bilden. Und dann sagt er einen schönen Satz, den man so gar nicht erwartet, weil man dann doch immer auf einen Business-Plan wartet, den Bröckling aber offenbar nicht hat, oder weil man glaubt, er würde sich sorgen, dass man ihn für einen Spinner halten könnte: „Vielleicht mache ich das einfach, weil mein Herz danach verlangt.“

In einer Hochhauswo­hnung in Monheim warten sechs Entenküken. Die Familie hat sie im Vorgarten gefunden, von der Entenmutte­r keine Spur. Sie haben Wasser in die Kiste gefüllt, damit die Enten planschen können. Das ist schlecht, denn so unterkühle­n sie sehr schnell, erklärt Bröckling der Familie. Er ist kein Biologe, aber hat sich viel angelesen. Die Familie hört kaum zu und wirkt froh, dass jemand die Enten mitnimmt. Am Auto schiebt Bröckling eine Wärmeplatt­e in den Käfig, die über den Zigaretten­anzünder mit Energie versorgt wird. Auch ein Eigenbau.

Jeden Tag trifft er auf Vögel, die sich in der Großstadt verlaufen ha-

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RP-FOTOS: ANDREAS ENDERMANN Stefan Bröckling mit zwei Entenküken am Alten Hafen in der Altstadt
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Im großen Kofferraum seines Kastenwage­ns findet er alles, was er für seine Einsätze braucht.

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