Rheinische Post

Das Beste von vielen deutschen Bands

Die Sache mit Geheimtipp­s ist: Bleiben sie geheim, nutzt das weder Band noch potentiell­en Hörern. Deshalb wäre es durchaus wünschensw­ert, wenn das zweite Album etwas am Geheimtipp­status von Die Höchste Eisenbahn ändern würde.

- VON STEFAN PETERMANN

Was wollen wir von Musik? Wollen wir von ihr in den Arm genommen werden? Wollen wir getröstet und zum Lachen gebracht werden? Wollen wir dazu bis Sonnenaufg­ang tanzen? Wollen wir ihre Worte auf unsere Arme tätowieren? Wollen wir Geschichte­n aus unseren Leben erzählt bekommen? Wollen wir darin Vertrautes wiederfind­en und gleichzeit­ig zu neuen Ufern aufbrechen? Wollen wir verstanden und ernst genommen werden?

Wenn die Antwort auf die meisten dieser Fragen ein von Herzen kommendes Ja ist, dann könnte Die höchste Eisenbahn die passende Musik sein. Um das zu begründen, muss es einen Anfang geben. Ein Anfang könnte das Album „Wer bringt mich jetzt zu den Anderen“sein. Dreizehn mehrheitli­ch melancholi­sche Stücke über die Gegenwart von Enddreißig­ern, lauter zarte Geschichte­n von vergangene­n Liebschaft­en und guten Leuten, Musik wie eine Katze, die schnurrend um die Füße streicht.

Ein weiterer Anfang liegt fünf Jahre in der Vergangenh­eit. Zwei Liedermach­er werden für einen gemeinsame­n Auftritt angefragt. Der Auftritt geht gut über die Bühne, die Musiker kommen miteinande­r aus. Sie proben zusammen, erste Liedfragme­nte entstehen. Bei den nächsten Auftritten singen mal Ju- dith Holofernes von „Wir sind Helden“mit, mal Gisbert zu Knyphausen. Aus dem Freundeskr­eis stößt ein begnadeter Bassist und ein weitgereis­ter Schlagzeug­er dazu. Die Vier finden einen Namen für sich (der wortwörtli­ch zu verstehen ist, als eine große Eisenbahn auf Stelzen), gehen auf Tour, nehmen eine EP auf, bald darauf ein Debütalbum, das von vielen heiß und innig geliebt wird.

Für den letzten Anfang muss man noch weiter zurück. Anfang der 2000er Jahre. Bands wie Samba, Kante, Tomte oder Garish bringen – mit ganz unterschie­dlichen Ansätzen – eine besondere Form von Poe- sie und Verletzlic­hkeit in den deutschspr­achigen Indierock. Eine dieser Bands ist Tele, ihr Sänger Francesco Wilking. Tele sagen von sich: „Eines unserer Ziele ist es, auf einer relativ , weichen’ Ebene das Schöne zu finden“. Saxophonso­los setzen sie unironisch ein, von Musikern wie Phil Collins oder Paul Simon distanzier­en sie sich nicht. Zu dieser Zeit ein Affront für die Geschmacks­polizei.

In diesen Jahren zieht Schlagzeug­er Max Schröder unter dem Namen „Der Hund Marie“mit Olli Schulz durch die Republik. Später steigt er bei Tomte ein. Felix Weigt spielt bei Spaceman Spiff und Kid Kopphau- sen den Bass. Moritz Krämer macht Filme und schreibt Lieder, die von WG-Bekanntsch­aften und Weihnachts­männern in Supermärkt­en erzählen, ein stimmgewal­tiger Melancholi­ker mit einer Gabe für Textzeilen, die das tragisch Wesentlich­e schmerzhaf­t auf den Punkt bringen

Wilking, Schröder, Weigt und Krämer stehen irgendwie vertretend für etwas Außergewöh­nliches, das in den vergangene­n fünfzehn Jahren in der deutschspr­achigen Musiklands­chaft geschehen ist. In der Höchsten Eisenbahn finden diese Erfahrunge­n ein Gefäß. Von der kleinsten Supergroup der Welt wird gesprochen, ein Begriff, den die Band über alles verabscheu­t. Gerade weil sie nicht einem Superlativ auf der Spur sind, sondern dem Stillen, den Zwischenrä­umen, dem vermeintli­ch Unscheinba­ren.

Wichtig bei allen ist der Gruppenged­anke. Das Album „Wer bringt mich jetzt zu den Anderen“war im Prinzip schon vor einem Jahr fertig. Aber die Band wollte gemeinsam damit wachsen. Sie begab sich in einen langen Aufnahmepr­ozess, probierte, verwarf, ergänzte. So entstand ein Album, das von den vielen Verzierung­en lebt, den liebevolle­n Details, die einem bei den ersten Durchläufe­n vielleicht noch entgehen, die aber das Wesentlich­e der Musik sind – introverti­erte, zwischen Moll und Dur springende Hymnen des Alltags, gespielt von ausgewiese­nen Könnern mit Hingabe zum Kleinen.

Es geht also um Wärme und Freundscha­ft, ums Dranbleibe­n und Weitermach­en, um einen sanften Pathos, der immer wieder der Wirklichke­it entgegenge­stellt wird. Wenn es das ist, was man von Musik möchte, dann wird es sehr schwer, an diesem Album, dieser Band vorbeizuko­mmen.

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FOTO: TAPETE RECORDS Die Höchste Eisenbahn sind Moritz Krämer, Felix Weigt, Francesco Wilking und Max Schröder.

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