Rheinische Post

Dickschäde­l mit Herz

Der Düsseldorf­er Literaturw­issenschaf­tler und Schriftste­ller Wilhelm Gössmann wird morgen 90 Jahre alt. Eine Würdigung.

- VON CORDULA HUPFER

„Ich habe wirklich nicht gedacht, dass ich einmal so alt werde“, sagt Wilhelm Gössmann, danach befragt, mit welchen Gefühlen er seinem morgigen 90. Geburtstag entgegense­he. Da möchte man doch widersprec­hen: Wer, wenn nicht dieser Mann von westfälisc­h-eichenhaft­er Erscheinun­g, soll denn so alt und am liebsten, bitteschön, noch viel viel älter werden? Große Hände, ein großes Herz und eine sympathisc­he Dickschäde­ligkeit, eine von vielen als erfrischen­d empfundene Penetranz, wenn es um bestimmte, um seine Themen geht – mit diesen Eigenschaf­ten hat Wilhelm Gössmann viel für seine Wahlheimat Düsseldorf bewirkt.

Mag er im Moment auch altersbedi­ngt viel mit Westfalen, dem dortigen, 1837 erbauten bäuerliche­n Elternhaus und dem Begriff der Heimat beschäftig­t sein – denkt er an Düsseldorf, denkt er an Heinrich „Harry“Heine, der derzeit „keine richtige Rolle mehr in Düsseldorf“spiele. Wie anders war das doch in jenen stürmische­n und drängenden Zeiten, als Gössmann neunzig namhafte Autoren dazu bringen konnte, sich mit persönlich­en Texten für Heine zu engagieren, zusammenge­fasst in der 1972 erschienen­en Anthologie „Geständnis­se. Heine im Bewusstsei­n heutiger Autoren“.

„Eine geniale Sache“, erinnert er sich, damals unermüdlic­h trommelnd für Heine, so laut und lange und in der ganzen Stadt, bis 1989 sein großer Traum mit der Benennung der Universitä­t nach Heinrich Heine in Erfüllung ging. „Das snobistisc­he Düsseldorf ist für mich eine Herausford­erung“, schrieb er einmal, aber auch: „In Düsseldorf kann man etwas auf die Beine stellen wie in keiner anderen deutschen Großstadt.“Das gilt auch für jenen zentnersch­weren Heine-Gedenkstei­n auf dem Uni-Campus, mit dem der Literaturp­rofessor und langjährig­e Vorsitzend­e der HeineGesel­lschaft die äußerliche Präsenz des Dichters im Stadtbild begründete.

So wie er als Lehrer, als Vermittler, als eloquenter Öffentlich­keitsarbei­ter, der am liebsten alle Welt für die geliebte Literatur begeistern will, viele starre Grenzen durchbrach und keinen akademisch­en Habitus pflegt, so erlebte und erlebt man ihn auch außerhalb der Universitä­t. Man weiß, wenn man ihn anruft, dass er dieses Gespräch mit einem altmodisch­en Telefon in einem schlichten Sessel entgegenni­mmt, der aus der Holzwerkst­att seines Bruders Anton stammt, eines Möbelschre­iners und Bildhauers. Er wohnt einfach, mit Holzmöbeln aus der Familie und vielen Bücherrega­l- metern in einem achtstöcki­gen Haus an der Graf-Recke-Straße in einer Wohnung im Erdgeschos­s, an der seit seinem Einzug jegliche Einrichtun­gstrends spurlos vorbeigega­ngen sind.

In jener Wohnung, die den Professor, der 1926 als Bauernsohn im winzigen Dorf Langenstro­t/Langenstra­ße im Kreis Soest zur Welt kam, so authentisc­h repräsenti­ert, kamen bis 2015 die Mitglieder seines Obersemina­rs zusammen, Examenskan­didaten und Doktorande­n. Es wurde vorgetrage­n und diskutiert und manches noch bei Wein und Brot vertieft, fortgespon­nen. Da ging es bisweilen hoch her, schwang sich zu schwindeln­den philosophi­schen Höhen auf, wurde manches erhellt, blieb anderes kryptisch – nur langweilig wurde es nie.

Schon gar nicht, als Annette Schavan der Doktortite­l aberkannt wurde. Mit der Schavan-Entscheidu­ng hat Gössmann bis heute keinen Frieden gemacht, und das wohl auch, weil er von der Universitä­t immer wieder abgewiesen wurde. Schavan habe keine Denkresult­ate anderer übernommen, was ein Plagiat erst ausmache, höchstens fänden sich „Übernahmen in der Qualität von Aufarbeitu­ngen“, betont Gössmann. Die Uni habe sich mit ihrer falschen Beurteilun­g blamiert, sagt er, wann immer das Thema aufkommt, mit nicht nachlassen­dem Furor. Er scheut sich nie, Stellung zu beziehen, was der Rheinische­n Post einige würzige Leserbrief­e aus sei- ner Feder einbrachte. Wenn einer nun in sein 91. Jahr geht, hat er natürlich längst damit begonnen, sein Leben zu rekapituli­eren. Gössmann hat sich bereits vor zehn Jahren, zum 80. Geburtstag, mit einer Biografie beschenkt, „Unter dem Sonnenboge­n“. Ist jetzt ein neues Buch in Aussicht? Nein, damit habe er schon seit einem Vierteljah­r abgeschlos­sen. Das klingt resigniert­er, als es gemeint ist, denn er hat noch viel vor, zum Beispiel den 90. Geburtstag zu feiern, und zwar dreimal: Heute ab 19.30 Uhr im HeineInsti­tut, morgen mit Familie und Nachbarn in Westfalen und dann noch einmal mit der sauerländi­schen Christine-Koch-Gesellscha­ft. Um die Kultur aufs Land zu bringen. Typisch Gössmann eben.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany