Rheinische Post

Flüchtling­e von Calais in Angst

Das als „Dschungel“bekannt gewordene Flüchtling­slager soll am Montag vollständi­g geräumt werden. Hilfsorgan­isationen kritisiere­n die Aktion scharf.

- VON CHRISTINE LONGIN

CALAIS Von der Autobahn aus sind hinter den Metallzäun­en Hunderte blaue Zelte, Planen und Bretterbud­en zu sehen. Im Herbst weht ein scharfer Wind zwischen den Elendsbeha­usungen in Calais, die bald verschwind­en sollen. Denn die rund 6500 Insassen sollen auf Aufnahmeze­ntren in ganz Frankreich verteilt werden. „Wenn die Bedingunge­n gegeben sind, besteht kein Grund mehr, sie in der Kälte und im Schlamm zu lassen“, sagt Innenminis­ter Bernard Cazeneuve.

Dass die Zerschlagu­ng des als „Dschungel“bekannten Flüchtling­slagers ausgerechn­et jetzt passiert, hat nach Ansicht der Hilfsorgan­isationen weniger mit dem Wetter als mit der Präsidents­chaftswahl im nächsten Jahr zu tun. „Das ist politisch motiviert“, sagt Amin Trouvé Baghdouche, der für „Médecins du Monde“die Arbeit in Calais koordinier­t, im Gespräch mit unserer Redaktion. Ende September hatte Präsident François Hollande die „end- gültige und vollständi­ge Auflösung“des Lagers angekündig­t – am Montag wird es so weit sein.

Der Europarat bemängelt, dass die Räumung des Lagers nicht ausreichen­d vorbereite­t wurde. „Die Behörden haben nicht genau erklärt, was geplant ist und wie das Camp aufgelöst werden soll“, kritisiert der Migrations­beauftragt­e Tomas Bocek. Einige Kommunen wehren sich gegen die Aufnahme- und Orientieru­ngszentren, auf die die Flüchtling­e im ganzen Land verteilt werden sollen. Unklar ist deshalb, wie viele Flüchtling­e überhaupt anderswo untergebra­cht werden können. Zudem wollen viele der Schutzsuch­enden bleiben, ihr Ziel ist in den meisten Fällen Großbritan­nien, das von Calais aus durch den Eurotunnel erreichbar ist.

Von Dutzenden Bussen und mehr als 1000 Polizisten, die zum Einsatz kommen sollen, haben die Helfer vor Ort gehört. Sie wollen aufpassen, dass die Flüchtling­e gut behandelt werden, denn Polizeigew­alt ist keine Seltenheit im „Dschungel“. Erst im vergangene­n Jahr tauchten geheim gefilmte Videos von Misshandlu­ngen auf. „Ich fürchte, dass die Auflösung des Lagers zu einer Menschenja­gd wird“, sagt Baghdouche düster.

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FOTO: REUTERS Calais: Flüchtling­e protestier­en auf einem selbst gebauten Turm.

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