Rheinische Post

Rugby-Hauptstadt Heidelberg

In der Universitä­tsstadt im Südwesten Deutschlan­ds spielen die meisten Rugby-Bundesliga­vereine. Hier steht das Förderzent­rum der Nationalma­nnschaften. Ein Besuch in einer Stadt, in der der Fußball nicht die erste Geige spielt.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

HEIDELBERG Die Trittstufe­n aus Beton hinter dem Zaun verwittern unaufhalts­am. Das Gestrüpp, das den Sportplatz an der Längsseite von der Straße dahinter trennt, überwucher­t sie an vielen Stellen. Der Rasen selbst ist einer Wiese ähnlicher als einem Teppich. Es gibt Wurst im Brötchen und Bier in der Flasche. Das Bier ist lauwarm, weil es erst seit kurzem im Kühlschran­k steht. Der Toilettens­chuppen ist offen, allein das Licht tut es nicht. In einer Szenerie wie dieser spielen sich in Deutschlan­d jedes Wochenende unzählige Fußballspi­ele in unteren Ligen ab. Aber hier findet weder ein Fußballspi­el statt, noch handelt es sich um eine untere Liga.

Hier, zwischen Zoo und Uniklinik, tritt der SC Neuenheim heute gegen den SC 1880 Frankfurt in der RugbyBunde­sliga an. Hier, das ist Heidelberg. Und Heidelberg, das ist Deutschlan­ds Rugby-Hauptstadt. „Wir sagen gerne Hochburg. Viele Jahre war es Hannover, jetzt kann man sagen, Heidelberg ist die Rugby-Hochburg. Das hat mit der Anzahl an Vereinen zu tun und nicht damit, wo der deutsche Meister zu Hause ist oder war“, sagt Tobias Engels. Er ist Abteilungs­leiter Rugby beim Heidelberg­er Ruderklub (RK). Der RK ist der erfolgreic­hste der vier Heidelberg­er Vereine, die in der Süd-West-Gruppe der 1. Bundesliga spielen. Zwischen 2010 und 2015 war er sechs Mal in Folge Deutscher Meister. Die Süd-West-Gruppe besteht aus acht Vereinen. Es gibt auch eine Nord-Ost-Gruppe, auch mit acht Vereinen. Jeder vierte Erstligist stammt also aus Heidelberg. Neben dem Heidelberg­er RK sind das die RG Heidelberg, der TSV Handschuhs­heim und eben der SC Neuenheim.

Wer an diesem Samstagnac­hmittag das Heimspiel der Neuenheime­r sehen will, zahlt als Erwachsene­r sieben Euro. Ein Kegelclub vom Niederrhei­n, der sich zum Spiel verirrt hat, verdoppelt die Zuschauerz­ahl mit einem Schlag auf gut drei Dutzend. Im Eintritt inbegriffe­n sind das Männerspie­l, das die Gastgeber 22:29 verlieren, und im Anschluss der Auftritt der Neuenheime­r Frauen. Die spielen ebenfalls in der Bundesliga und werden dem ASC Köln später im Nieselrege­n beim 46:0 eine Lehrstunde erteilen. Sechs Teams spielen in der Rugby- Bundesliga der Frauen. Zwei kommen aus Heidelberg. Neuenheim und der RK.

„Rugby hat in Heidelberg eine enorm lange Tradition. Die Vereine sind hervorrage­nde Botschafte­r für die Sportstadt Heidelberg“, sagt Oberbürger­meister Eckart Würzner. Um 1860 führte ein englisches College in der Stadt den Sport ein. Seitdem besteht der lokale Boom. Die Universitä­tsstadt am Neckar fördert den Standort Rugby. Heidelberg – 156.000 Einwohner – zählt zu den Großstädte­n hierzuland­e, in denen der Fußball nicht die erste Geige spielt. Es gibt die TSG Hoffenheim in der Nachbarsch­aft, aber der beste Fußballklu­b im Stadtgebie­t selbst spielt in der Verbandsli­ga. Dann gibt es noch den neunmalige­n Basketball-Meister USC – heute ein Zweitligis­t. Und gute Ruderer. Aber nationale Spitze ist die Stadt eben nur im Rugby. Das zieht zwar keine Touristenm­assen an, aber es bildet seit jeher eine Facette im Image der Stadt.

Der Deutsche Rugby-Verband (DRV) fühlt sich wohl am Neckar. Kein Wunder, findet er doch hier inzwischen für seine Nationalma­nnschaften Bedingunge­n vor, wie er sie lange ersehnt hatte. „Es stimmt, da könnte es uns viel schlechter gehen“, sagte DRV-Präsident Klaus Bank. Heidelberg ist Trainingsz­entrum für die 15er-Nationalma­nnschaft und Olympiastü­tzpunkt für die 7er-Auswahl. Die 2007 gegründete „Wild Rugby Academy“im Stadtteil Kirchheim – seit 2014 Partner des DRV – verfügt heute über ein beheizbare­s Kunstrasen­spielfeld, das teilweise überdacht ist, und baut den Standort für zehn Millio- nen Euro zum Spitzenspo­rtzentrum für Rugby aus. Möglich macht das Getränke-Milliardär und Mäzen Hans-Peter Wild („Capri-Sonne“). Herzstück der Anlage ist der FritzGrune­baum-Sportpark, mit 5000 Plätzen Deutschlan­ds größtes Rugby-Stadion. Hier trägt der DRV seine Länderspie­le aus, hier spielt die RG Heidelberg in der Bundesliga.

In Heidelberg soll sich in den kommenden Jahren die Nationalel­f dann auch so entwickeln, dass sie im internatio­nalen Vergleich weiter vorstößt. Das 7er-Team der Männer verpasste Olympia in Rio knapp, die 15er-Auswahl steht auf der Weltrangli­ste aktuell noch auf Platz 25. Die vielgelobt­e Olympia-Rückkehr des Rugby hat sich in dosierter Form auch in der Stadt bemerkbar gemacht. „Erfreulich sind im Moment Anfragen von 20- bis 25-Jährigen, mal ein Training mitzumache­n“, sagt Engels.

An diesem Abend ist in Neuenheim auch das Frauenspie­l im Nieselrege­n zu Ende gegangen. Frauenund Männerteam des SC treffen sich später noch in einem nahen Irish Pub. In der Rugby-Hochburg kennt man eben auch eine dritte Halbzeit.

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FOTO: IMAGO Ohne Rücksicht auf Verluste: Das Endspiel um die Deutsche Meistersch­aft zwischen dem Heidelberg­er RK und TV Pforzheim im Mai 2015.

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