Montecristo
So machte er sich zu Fuß auf in Richtung seiner Wohnung, die in einer ganz anderen Gegend lag. Er würde sich von seiner Eingebung leiten lassen und entweder ein Taxi anhalten oder irgendwo einkehren oder den ganzen Weg flanierend zurücklegen.
Der Föhn jagte noch immer seine unberechenbaren Böen durch die unansehnlichen Straßen, da und dort grölten ein paar versprengte Fans einer siegreichen Fußballmannschaft, und vor den Clubs vertraten sich die Raucher die Füße.
Jonas hatte seit seiner Scheidung mehrere Beziehungen gehabt. Aber noch nie war er nach einem Rendezvous so verzaubert gewesen wie in dieser unwirtlichen Nacht.
Er erreichte den Hauptbahnhof und nahm die Abkürzung durch die Bahnhofshalle. Es herrschte die gewohnte Mischung aus Bewegung und Stillstand. Agglos, die den Abend in der Stadt verbracht hatten, eilten zu ihren Regionalzügen. Pendler, bei denen es später geworden war, kamen ihnen auf dem Weg nach Hause entgegen. Und mitten in diesem Kommen und Gehen hing das übliche Bahnhofsvolk herum, das nirgendwo herkam und nirgendwo hinwollte.
Die Bahnhofstraße war fast menschenleer. Der Wind brachte Bewegung in die hundertfünfzigtausend Leuchtdioden über ihr, die sich dennoch nicht gegen die grellen Weihnachtsbeleuchtungen und Leuchtreklamen der Geschäfte durchsetzen konnten.
Er ging tief in Gedanken an den Uhren- und Schmuckgeschäften und ihren Blumentrögen und Findlingen vorbei, mit denen sie sich vor Rammbockeinbrüchen schützten.
Bei der nächsten Station hielt eines der letzten Trams, das in seine Gegend fuhr. Er stieg ein und lehnte sich im Heck des Anhängers gegen das Fenster, obwohl der Wagen fast leer war. Er war immer noch aufge- kratzt und verspürte keine Lust, sich zu setzen.
Die wenigen Fahrgäste waren mit sich selbst beschäftigt. Die Stille wurde nur unterbrochen durch die Ankündigungen der nächsten Stationen und Umsteigemöglichkeiten.
Wie ein Raumschiff, dachte Jonas, das durch die nächtliche Unwirklichkeit der noblen Geschäfte und ehrwürdigen Großbanken glitt. Zwei sich fremde Welten.
Schwach spiegelte der See den Glanz der Straßenbeleuchtung und des trägen Nachtverkehrs. Der Föhn kräuselte seine Oberfläche und schaukelte die Plattformen der stillgelegten Bootsvermietungen und die eingemotteten Boote.
Ein paar Fahrgäste stiegen aus, ein paar stiegen ein, und die Fahrt ging weiter, vorbei an der Oper und dem kleinen Bahnhof, hinein in sein Quartier.
Jonas Brand stieg aus. Die zwei Stationen bis zu seiner Straße wollte er zu Fuß gehen. Und sich damit die Möglichkeit offenhalten, noch spontan im Cesare reinzuschauen.
Was er auch tat. Er nickte einem der Raucher vor dem Eingang zu, den er vom Sehen kannte, und betrat das Lokal. Die laute Musik täuschte mehr Betrieb vor, als tatsächlich herrschte. An der Bar unterhielten sich ein paar Gäste, und ein paar der Tische waren noch besetzt. Hier ein paar ernste Diskutierer, da ein Paar, das sich noch nicht entschieden hatte, ob bei ihm oder bei ihr.
Jonas stellte sich an einen der runden Stehtische. Ein junger italienischer Kellner fragte ihn, was er trinken wolle. Brand blieb beim Bier.
Eine junge Frau kam an den Tisch. Sie hatte ein Glas mit viel Grünzeug und wenig Flüssigkeit in der Hand und etwas Mühe, auf ihren Stilettos das Gleichgewicht zu halten.
(Fortsetzung folgt)