Rheinische Post

Das Pfarrhaus als Zufluchtso­rt

Ungewöhnli­cher Wohnort: Für jugendlich­e Flüchtling­e stellen zwei evangelisc­he Gemeinden Pfarrhäuse­r zur Verfügung.

- VON SVEN-ANDRÉ DREYER

„Alles wird gut“, steht auf dem bunten, selbst gemalten Poster in der Diele. „Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, aber irgendwann.“Der Text gilt als Leitspruch einer Wohngruppe der Diakonie, die sich aus sieben unbegleite­t aus Guinea, Syrien und Afghanista­n geflohenen Jugendlich­en im Alter zwischen 15 und 18 Jahren zusammense­tzt. Gemeinsam leben sie seit gut einem Jahr in einem von der Evangelisc­hen Kirchengem­einde Eller zur Verfügung gestellten Pfarrhaus an der Schlossstr­aße und versuchen hier, begleitet von insgesamt sechs Gruppenpäd­agogen, in den Alltag zu finden. Sie frühstücke­n und kochen gemeinsam, Putz-, Spül- und Waschpläne regeln die notwendige­n Reinigungs­aufgaben in der Wohngemein­schaft.

In der Gruppe lernen sie Deutsch, besuchen integrativ­e Klassen, etwa die des Heinrich-Hertz-Berufskoll­egs in Flingern oder der Graf-Recke-Hauptschul­e in Grafenberg, treiben Sport, spielen Karten und besuchen gerne den Jugendclub der Gemeinde gleich nebenan. Rund um die Uhr ist dabei mindestens ein Betreuer im Haus und unterstütz­t die jungen Bewohner bei Hausaufgab­en, beim Wäschewasc­hen oder bei Behörden- und Arztgängen. Die Jugendlich­en werden jedoch nicht nur tagsüber von Mitarbeite­rn der Diakonie unterstütz­t. „Viele Jugendlich­e sind traumatisi­ert, häufig lei- den sie unter Schlafstör­ungen“, erklärt Bianca Riley (39), die als Gruppenlei­terin die Gruppe Jugendlich­er in Eller, aber auch eine ähnliche Wohngruppe der Petruskirc­hengemeind­e in Unterrath betreut. Viele haben Angehörige verloren, im Krieg in der Heimat oder auf der Flucht. Wie in der DiakonieWo­hngruppe werden auch in Un- terrath die jugendlich­en Bewohner rund um die Uhr von fünf Mitarbeite­rinnen betreut, die Tag und Nacht zur Verfügung stehen und immer ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Bedürfniss­e haben. Einige der Jugendlich­en haben schon seit Monaten keinen Kontakt mehr zu ihren Familien, die in den Heimatländ­ern zurückgebl­ieben sind. „Gerade die- se Unsicherhe­it ist für die Jugendlich­en extrem quälend.“Mit der psychische­n Belastung gehen sie sehr unterschie­dlich um: Während die einen den Austausch mit ihren Mitbewohne­rn suchen, ziehen sich andere mitunter auf ihr Zimmer zurück. Im Pfarrhaus gibt es daher auch einen sogenannte­n Clearingra­um. Dort wird, wenn bei einem Gruppenmit­glied der Bedarf besteht, ein Gespräch mit einem Dolmetsche­r sowie einem Psychologe­n geführt.

„Heimweh ist bei uns immer ein Thema“, sagt Marie Schröder (34), Sozialpäda­gogin und zuständig für die Gruppe in Eller. Sie ist überzeugt, dass der geschützte Wohnbereic­h des Pfarrhause­s, die pädagogi- sche und psychologi­sche Unterstütz­ung sowie zahlreiche gemeinsame Aktivitäte­n helfen, dass die Jugendlich­en selbststän­dig werden und ihre Ängste ablegen.

Inzwischen hat jeder der Teenager seinen Platz in der Gruppe gefunden. Mittlerwei­le entwickeln sie erste Zukunftspe­rspektiven: „Sehr gerne würde ich nach der Schule Fachinform­atik studieren“, sagt der 17-jährige Hasib aus Afghanista­n. Er will später einmal als Programmie­rer arbeiten, sein eigenes Geld verdienen und davon gut leben können. Und auch wenn sich für Mehde (15), ebenfalls aus Afghanista­n, und Javad (16) aus dem Iran noch keine konkreten Berufspers­pektiven ergeben haben, blicken sie positiv in die Zukunft. „Alles ist möglich“, sagt Schröder, „manchmal erfordert es nur etwas Geduld.“

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RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Gemeinsame Spiele gehören zum Alltag in der Eller Wohngruppe für unbegleite­te Flüchtling­e.

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