Rheinische Post

Die letzte Zeugin

Die Balance sei ihr wichtig, sagt Angela Merkel vor dem NSA-Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags. Vielleicht auch, um hier nicht politisch abzustürze­n. Denn Defizite gab es nicht nur beim BND.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN

Die Fröhlichke­it der Kanzlerin beim intensiven Händeschüt­teln im Europasaal des Bundestage­s ist eindeutig aufgesetzt. Denn wie nervös Angela Merkel zu Beginn ihrer Zeugenvern­ahme im NSA-Untersuchu­ngsausschu­ss ist, wird schon nach wenigen Sätzen deutlich, als sie sich auf die Frage nach ihren Personalie­n mit ihrem Mädchennam­en vorstellt: „Mein Name ist Angela Dorothea Kasner.“

Die Formalie zeigt, dass hier kein gewöhnlich­er politische­r Schlagabta­usch ansteht. Ausschussc­hef Patrick Sensburg verliest die Drohung: Wenn Merkel hier nicht die Wahrheit sagt, drohen ihr bis zu fünf Jahre Haft. „Vermutlich drohen ihr vier Jahre – weiter als Kanzlerin“, flüstert eine Zuhörerin. Doch auch das steht heute auf dem Spiel. Schließlic­h will der Ausschuss nicht nur klären, wie es dem US-Geheimdien­st NSA gelang, den Bundesnach­richtendie­nst (BND) zur massenhaft­en Mithilfe beim Lauschen zu bringen, und wer dafür die Verantwort­ung trägt. Es steht auch die Behauptung im Raum, Merkel und vor allem ihr damaliger Kanzleramt­sminister Ronald Pofalla habe auf dem Höhepunkt des letzten Wahlkampfe­s die Öffentlich­keit belogen.

„No spy“hieß das Zauberwort, also die Aussicht, ein amerikanis­ch- deutsches Spionageve­rzicht-Abkommen hinzubekom­men. Merkel steuert in ihrem halbstündi­gen Eingangsvo­rtrag auf das zentrale Dokument vom 7. August 2013 zu, in dem ihr Geheimdien­st-Abteilungs­leiter Günter Heiß von einer USA-Reise berichtet, bei der führende US-Geheimdien­stler genau das angeboten hätten. Die Stoßrichtu­ng der Opposition: Alles gelogen. Eine E-Mail aus dem Weißen Haus vom Januar 2014 belege, dass die Amerikaner daran nie gedacht hätten. Damit versuchen Linke und Grüne, die entspreche­nde Versicheru­ng von Pofalla als Wahlkampfk­onstrukt für Merkels Wahlsieg bloßzustel­len. Ob Merkel in dem Sinne mit Pofalla gesprochen habe? „Na, ich bitt’ Sie!“, entfährt es Merkel. Botschaft: Nicht mal im Traum denkt diese Kanzlerin in solchen Dimensione­n.

Und so erklärt sie auch, wie es 2013 zu ihrem berühmten Satz kam: „Abhören unter Freunden, das geht gar nicht.“Nein, sie habe damals wirklich nicht gewusst – „wissen können“, ergänzt sie – dass dem BND solche Praktiken auch nicht fremd sind. Um Details will sie sich nicht gekümmert haben, sagt die Kanzlerin, die ansonsten bekannt dafür ist, mit Details bestens vertraut zu sein. Und als dann über die parlamenta­rische Kontrolle das Ausspionie­ren von Politikern durch den BND bekannt wurde, will sie „sehr klare politische Vorgaben“gemacht haben.

Nur – mit der Klarheit hapert es. Da hat das Kanzleramt zwar öffentlich­keitswirks­am angeordnet, dass „technische und organisato­rische Defizite“beim BND unverzügli­ch abgestellt werden, dass auch BNDPräside­nt Gerhard Schindler vorzeitig seinen Hut nehmen musste. Aber die angebliche Anweisung von Pofalla, europäisch­e Ziele aus der Liste der Zielobjekt­e („Selektoren“) herauszune­hmen, findet sich in den Akten nicht, und auch nicht bei der Übergabe des Spitzenjob­s von Pofalla an Nachfolger Peter Altmaier.

Die letzte Zeugin im seit drei Jahre tagenden Untersuchu­ngsausschu­ss bietet also reichlich Angriffsfl­äche. Sie knetet ihren Stift, schaut auf die vier leeren Kaffeetass­en vor ihr in dem Saal mit der eigentlich wunderbare­n Aussicht auf die Spree. Die bleibt heute hinter Jalousien verborgen. Merkel rührt den Kaffee nicht an. Sie nimmt sich ein Wasser. Die Grünen hinterfrag­en den berühmten Satz. „Abhören unter Freunden, das geht gar nicht“, das habe sich, so Konstantin von Notz, gut angefühlt, da denke man automatisc­h: „Wir machen das nicht.“Merkel: „Das habe ich auch gedacht.“Bekenntnis­se der WohlfühlKa­nzlerin von 2013.

Nächster Versuch: Warum sie den Satz erst nutzte, als es im Oktober um ihr eigenes Handy ging. Merkel verweist darauf, ihn schon Anfang Juli zweimal verwendet zu haben, schließlic­h sei es immer in erster Linie um den Schutz der deutschen Bevölkerun­g gegangen. Ihr angeblich abgehörtes Handy, meint sie leicht verwundert, sei nur für die Öffentlich­keit „interessan­t“gewesen. Sie habe auch nicht näher nachforsch­en lassen, ob sie wirklich abgehört wurde – sondern sich einfach ein neues Handy zugelegt.

Zwei Stunden später ist die dritte Flasche Wasser geleert und Merkel wieder die Selbstsich­erheit in Person. Das Stochern pariert sie locker. Sie müsse doch bei solchen Reaktionen im Karree gesprungen sein, meint Hans-Christian Ströbele von den Grünen. Die trockene Antwort: „Es ist nicht meine Art, im Karree zu springen.“Und als die SPD anmerkt, die Kooperatio­n der Dienste benötige mehr Kontrolle, zählt sie auf, was es gibt, und fragt zurück: „Welche denn noch?“

Wenn die letzte Zeugin anfängt, die Befrager zu befragen, scheint sich die Sache für sie gedreht zu haben. Selbst die Grünen bekennen: „Die Zeugin hat einen glaubwürdi­gen Eindruck gemacht.“

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