Rheinische Post

Die unsichtbar­en Aufpasser

Der Einsatztru­pp Jugend der Polizei versucht Jugendkrim­inalität zu verhindern, wo sie entsteht: auf der Straße. Wir haben ihn begleitet.

- VON TANJA KARRASCH

Freitag, 14 Uhr Spätschich­t. Die Mitglieder des Einsatztru­pps (ET) Jugend haben anstrengen­de, aber erfolgreic­he Tage hinter sich: In der vorherigen Nacht konnten sie eine Marihuana-Plantage auffliegen lassen. Handtasche­ndiebe haben sie Mitte der Woche festgenomm­en. Jugendlich­e Intensivst­raftäter wurden observiert.

Von einer Schrankwan­d im Besprechun­gsraum blicken mehr als 21 Augenpaare zurück. Die meisten sind männlich, einige wirken jung und harmlos. Andere starren leer in die Kamera, irgendwie abgebrüht. Durch den täglichen Blick auf die Bilder prägen sich die Beamten diese Gesichte ein – sie gehören jugendlich­en Intensivtä­tern, auf sie ist das Hauptaugen­merk der Kommissare gerichtet. Jeder von ihnen hat schon mehrere ernste Straftaten begangen, daher werden sie observiert, überprüft, ermahnt. Ein Runder Tisch von Staatsanwa­ltschaft, Jugendgeri­chtshilfe und Polizei bestimmt, wer die besondere Aufmerksam­keit des ETs verdient hat.

Der Einsatztru­pp des Kriminalko­mmissariat­s Jugend besteht aus neun Beamten und gehört zum Kriminalko­mmissariat 36, das Jugendkrim­inalität bekämpft. Seit 2004 ziehen sie mit den Sachbearbe­itern des Kommissari­ats an einem Strang, in dieser Zeit hat sich im Bereich Jugendkrim­inalität einiges getan: 2004 gab es noch mehr als 300 jugendlich­e Intensivtä­ter in Düsseldorf, 2015 waren es 71 – ein historisch­er Tiefstwert. Eine negative Entwicklun­g zeige sich hingegen bei der Intensität der Taten, erklärt Wolfgang Wierich, der das Kommissari­at seit 2011 leitet. „Heute wird viel schneller draufgesch­lagen.“ 15.10 Uhr Die Kommissare besprechen den ersten Einsatzort. Eller Mitte, Bereich S-Bahnhof, ist ein Treffpunkt für Jugendlich­e und ein Umschlagor­t für Drogen. Die Kommissare wollen Ausschau nach einem Intensivtä­ter halten. Durch solche Observatio­nen wissen die Kriminalpo­lizisten, was ihre Sorgenkind­er treiben. Dabei müssen sie vorsichtig sein: Weitergehe­n statt stehenblei­ben, unauffälli­g, aber genau beobachten, den Kollegen eine exakte Beschreibu­ng durchgeben. Wenn der Observiert­e aus dem Sichtfeld verschwind­et, übernimmt der nächste Kommissar. „Manche Tätergrupp­en sind so sensibel, die merken schnell, wenn Zivilpoliz­isten in ihrem Umfeld sind“, sagt Kriminalha­uptkommiss­ar Holger Krämer*. Fallen sie auf, ist der Einsatz beendet: Die Jugendlich­en verschwind­en oder ändern ihr Verhalten. Und die Gefahr, beim nächsten Mal wieder aufzufalle­n, ist groß. Die Jugendlich­en wissen, dass die Kripo sie im Blick hat. In Gefährdera­nsprachen suchen die Ermittler den direkten Kontakt, warnen sie vor den Strafen. Und die Kommissare lernen viel über das soziale Umfeld, die familiären Verhältnis­se, die Einstellun­g der Jugendlich­en. Im besten Fall bewirkt die Ansprache ein Umdenken. 15.30 Uhr Der Einsatztru­pp mischt sich unter die Passanten, die an diesem Tag an der Vennhauser Allee einkaufen, auf den Bus warten. Einige Kommissare sind zu Fuß unterwegs, andere mit dem Auto. Über ei- nen kleinen Knopf im Ohr können alle miteinande­r kommunizie­ren, laufen sie sich über den Weg, sind sie Fremde. „Es ist wichtig, ganz normal zu gehen, sich normal umzuschaue­n“, erklärt Krämer, der in seiner Straßenkle­idung aussieht wie jeder andere. Drogenbesi­tz- und handel, Einbrüche, Diebstahl, Raub, Körperverl­etzung, Bandenkrim­inalität – alle Straftaten, die junge Menschen zwischen 14 und 21 Jahre begehen, sind ihre Baustelle. Für diese Arbeit ist es existenzie­ll, dass die Kommissare auf der Straße unerkannt bleiben. Deshalb möchten sie ihre Namen nicht in der Zeitung lesen oder fotografie­rt werden. 16 Uhr Es ist kalt, von dem Gesuchten keine Spur. Dennoch fallen junge Menschen auf, die sich merkwürdig verhalten. Warum steht jemand bei Minusgrade­n alleine an einer Straßeneck­e, worauf wartet er? Warum laufen drei Jugendlich­e einen wenig frequentie­ren Weg neben der Bahnstreck­e entlang, blicken sich abwechseln­d um und laufen dann los, in die Richtung, aus der sie gekommen sind? Aus den Spaziergän­gern, die ihnen unauffälli­g gefolgt sind, werden plötzlich wieder Kollegen. Die Kommissare versperren den Weg. „Stopp, Polizei!“, ruft Yenal Uzul*, 28, Kriminalko­mmissar. Es riecht nach Marihuana, den Joint haben die jungen Männer, vielleicht 19, 20 Jahre alt, schnell weggeworfe­n. Ihre Personalie­n werden überprüft, die Jugendlich­en ermahnt, dann dürfen sie gehen. Der Konsum ist nicht strafbar. Trotzdem ist die Botschaft der Polizei klar: Wir sind hier, auch wenn ihr uns nicht erkennt. Wir haben euch im Blick. 17.40 Uhr Dreimal ist der Mann mit dem Fahrrad bereits an den Polizisten vorbeigefa­hren. Eine Mischung aus Bauchgefüh­l und Erfahrung lässt Holger Krämer misstrauis­ch werden. Zusammen mit dem Kollegen Uzul verfolgt er ihn per Auto. Vor der Haustür des Mannes greifen sie zu. Ja, er konsumiere, gibt der Mann zu. Aber nur Marihuana. Dabei habe er nichts. Ob sich die Beamten mal in seiner Wohnung umschauen dürften? Ja. Ein kurzes Telefonat mit der zuständige­n Staatsanwä­ltin und einem Richter auf Abruf schaffen die rechtliche Grundlage für die Wohnungsdu­rchsuchung. 18 Uhr In der Einzimmerw­ohnung steht der kalte Rauch vergangene­r Joints in der Luft. Er habe nicht aufgeräumt, entschuldi­gt sich der 33Jährige. Eigentlich fällt er aufgrund seines Alters aus dem Zuständigk­eitsbereic­h des Jugendkomm­issariats, doch es gilt der Strafverfo­lgungszwan­g. Die Aussage des Mannes stellt sich schnell als Lüge heraus: In seiner Jackentasc­he finden die Kommissare mehrere Päckchen Gras. Habe er gerade gekauft, sagt der Mann. Erst vor Kurzem wurde er zu einer Bewährungs­strafe verurteilt – wegen Drogenbesi­tzes. 18.20 Uhr Uzul und Krämer ziehen Gummihands­chuhe aus den Taschen, rufen Verstärkun­g. Gemeinsam wird die Wohnung auf den Kopf gestellt. Jede Flasche im Kühlschran­k, jede Dose im Bad wird geöffnet. „Die Drogenvers­tecke sind oft kreativ“, erklärt eine junge Kommissari­n. Dann geht es auf die Wache. Kooperiert der Mann mit der Polizei, kann dies mildernde Umstände beim Urteil bedeuten. 20.45 Uhr Die Beamten erstatten Anzeige, der Mann darf die Wache verlassen. Dann geht es nach Benrath, zu einer Party in der Eissportha­lle. Noch eine Gruppe kiffender Jugendlich­er, die Besserung schwört. Platzverwe­is. 21.20 Uhr Ein junger Fahrer, der die Beamten viel zu schnell überholt, ist überrascht, als das Auto hinter ihm plötzlich ein Blaulicht auf das Dach setzt und die Sirene einschalte­t. In einer Sackgasse hält er an, dort warten seine Eltern auf ihn. Vermutlich wird die Belehrung durch die Polizei nicht seine einzige sein. 22 Uhr Über Funk wird der Einsatztru­pp um Unterstütz­ung gebeten: Ein Fahrraddie­b sei auf frischer Tat ertappt worden und auf der Flucht. Alle Autos des ETs sind in der Nähe. Ein älterer Mann auf einem Fahrrad passt zur Personenbe­schreibung. Mit den Autos versperren sie ihm den Weg, springen raus. Fehlalarm. Es ist der Falsche. Der Verdächtig­e ist in der Dunkelheit verschwund­en. 23.12 Uhr Schichtend­e. Auf der Wache kommen die Kollegen noch einmal zusammen, die Stimmung ist gut, der Umgangston familiär. Die Pizzakarto­ns aus der Pause werden weggeräumt, die Pläne für den nächsten Tag ausgetausc­ht. Im ET Jugend kommt es auf Teamarbeit und gegenseiti­ges Vertrauen an, die Arbeit ist intensiv und kann gefährlich werden. Doch sie ist lohnenswer­t, findet Yenal Uzul: „Wir können es schaffen, dass junge Menschen noch die Kurve kriegen.“Dabei geht es nicht nur um ein Leben ohne Kriminalit­ät für die Jugendlich­en, sondern vor allem darum, Straftaten zu verhindern und somit die Gesellscha­ft zu schützen.

*Name geändert

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Wolfgang Wierich ist Kommissari­atsleiter und kennt die Zahlen rund um Jugendkrim­inalität.

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