Rheinische Post

NACHRUF Horst Ehmke

1927–2017

- Gregor Mayntz FOTO: IMAGO

Nun erinnern sich viele, die wegen Willy Brandt Sozialdemo­kraten wurden und Karriere in der SPD machten, dass da noch einer war: Horst Ehmke ist im Alter von 90 Jahren in Bonn gestorben. Er war der jüngste Justizmini­ster in der ersten großen Koalition und räumte dann als Kanzleramt­sminister für Brandt ab 1969 in der Regierungs­zentrale derart gründlich auf, dass er bald als der „flotte Hotte“bekannt und gefürchtet war. Gutbürgerl­ich in Danzig aufgewachs­en, bei der Hitlerjuge­nd leidenscha­ftlicher Segelflieg­er geworden, ohne sein Wissen als NSDAP-Mitglied geführt und 1944 noch eingezogen und in Gefan- genschaft geraten, fragte er sich nach der Entlassung, wie es zum Krieg kommen konnte. Seine Erkenntnis: „Deutschlan­d wäre viel erspart geblieben, wenn es auf seine Sozialdemo­kraten gehört hätte.“Das brachte ihn nach dem Jura-Studium, unter anderem in den USA, als Seiteneins­teiger ohne „Stallgeruc­h“ganz schnell nach ganz oben auf von der SPD besetzte Posten. In der Selbstanal­yse sah sich Ehmke als „kompensato­rische Ergänzung“Brandts. Die charismati­sche Erscheinun­g brauchte auch einen, der die Dinge praktisch durchsetzt­e. So wurde Ehmke zu Brandts Motor, der zuweilen sehr laut und bedrohlich in der Partei, Fraktion und Öffentlich­keit zu hören war. „Brandt hat geschauder­t, wie ich das Kanzleramt gleich neu besetzt habe“, erinnerte er sich Jahrzehnte später. „Aber sonst hätten wir gar nicht regieren können“, fügte er hinzu. Ehmke räumte mit Jahrzehnte­n CDU-Kanzlersch­aft auf. Und so fasst die heutige SPDGeneral­sekretärin Katarina Barley das Format Ehmke in die Formel: „Ohne ihn wäre Willy Brandt nicht der Kanzler geworden.“Ehmke verließ bei Brandts Sturz über die Guillaume-Spionage-Affäre ebenfalls das Kabinett – sein Verständni­s von Solidaritä­t. 1984 verließ er auch den Bundestag und begann, Krimis zu schreiben. Auch, um Politik besser erklären zu können.

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