Terror-Drama vor Londoner Parlament
Erneut hat ein Attentäter der britischen Hauptstadt Tod und Schrecken gebracht – dieses Mal im Herzen des Regierungsviertels.
LONDON Es ist kurz nach halb drei am gestrigen Nachmittag, als ein Geländewagen von der Südseite der Themse auf die Westminster Bridge fährt. Es ist jene bekannte Brücke, die zum Parlament führt. Kurz vor dem Nordufer schwenkt der graue Hyundai nach links, fährt über einen Bordstein auf den Radweg und von dort aus auf den Bürgersteig. Dort mäht er reihenweise Menschen nieder. Der Wagen kommt am Nordufer an und rast weiter. Dort kracht er dann links in den Zaun, der die Bridge Street von den Houses of Parliament trennt.
Ein Mann steigt aus und rennt weg von dem blutigen Schauplatz. Er soll ganz in Schwarz gekleidet gewesen und nach Zeugenaussagen „von indischem Aussehen“sein. Er läuft auf der Bridge Street weiter, biegt am Parliament Square nach links ab und nochmals nach links in den New Palace Yard am Parlament. Was wie eine Flucht aussieht, erweist sich bald als Fortsetzung des Terrors: Der Unbekannte befindet sich jetzt innerhalb des Parlamentskomplexes. Zeugen berichten, dass er ein Messer mit einer 15 bis 20 Zentimeter langen Klinge schwingt. Er sticht einen Polizisten nieder, dann rennt er weiter auf den Palast von Westminister zu.
Zwei weitere bewaffnete Wachpolizisten erkennen die Gefahr. Sie schreien den Mann an, fordern ihn auf stehenzubleiben. Als er nicht reagiert, eröffnen sie das Feuer. Vier Schüsse fallen, der mutmaßliche Terrorist bleibt am Boden liegen. Nur wenig später gibt die Polizei offiziell bekannt, dass man von einer terroristischen Tat ausgehe.
Auf der Westminster Bridge bietet sich ein Bild des Grauens. Passanten versuchen, den vom Geländewagen übel zugerichteten Opfern Erste Hilfe zu leisten. Einige bluten stark. Andere liegen auf dem Asphalt, die Beine verdreht. Auch drei französische Schüler sind verletzt, wie Premierminister Bernard Cazeneuve in Paris wenig später bestätigt.
Ambulanzen, Feuerwehr und Notärzte treffen im Minutentakt ein. Zwischen den Helfern laufen schwarz gekleidete Polizisten der „Armed Response Unit“mit ihren automatischen Waffen umher. Der Londoner Rettungsdienst erklärt, er habe mindestens zehn Personen an der Westminster Bridge behandelt. Eine Frau wird nach Angaben der Hafenbehörde lebend, aber mit schweren Verletzungen aus der Themse gerettet. Die Hilfskräfte treffen zügig ein – seit den Anschlägen 2005 ist die britische Metropole im permanenten Alarmzustand. Auf dem Parliament Square, dem mit Rasen bewachsenen Platz direkt vor dem Palast von Westminster, landet ein roter Helikopter der London Air Ambulance.
Mittlerweile sind alle Zugangsstraßen abgeriegelt. Viele sind mit dem blauweißen Plastikband der Polizei abgesperrt, auf dem „Do not enter“steht: Nicht betreten! Das weltberühmte Riesenrad „London Eye“wird zeitweise angehalten. Die Menschen sitzen in den Kabinen fest, wie die Betreiber der Attraktion auf Twitter mitteilen. Innerhalb des Parlaments wird der „Lockdown“ausgerufen: Keiner kommt mehr raus, keiner darf hinein – außer Premierministerin Theresa May. Sie hatte kurz zuvor im Unterhaus ihre wöchentliche Fragestunde abgehalten. Als die Schüsse fallen, entschließen sich ihre Leibwächter, sie sofort in Sicherheit zu bringen und bugsieren sie in ihren silbernen Jaguar. „Die Premierministerin ist in Sicherheit“, heißt es wenig später aus der Downing Street.
Für die anderen Parlamentarier sowie Lobbyisten, Journalisten und Besucher beginnt eine lange Wartezeit. Sie müssen bleiben, wo sie sind. Eine Schulklasse, die gerade das Parlament besucht, vertreibt sich die Zeit mit Liedersingen – eine sehr britische Reaktion in heiklen Situationen.
Der opferreichste Anschlag in der Geschichte Großbritanniens liegt bereits fast zwölf Jahre zurück: Am 7. Juli 2005 brachten Al-Kaida-Anhänger in drei U-Bahn-Zügen und einem Bus in London Sprengsätze zur Explosion. 52 Menschen kamen ums Leben. Drei der Attentäter waren pakistanischer Abstammung, aber in Großbritannien geboren.
Die britischen Sicherheitsbehörden haben in den vergangenen vier Jahren 13 Terroranschläge vereitelt. Allerdings kam es zu einer Reihe kleinerer, tödlicher Angriffe. Im vergangenen Jahr erschoss ein Rechtsextremer die britische Abgeordnete Jo Cox. 2015 stach ein Angreifer an einem U-Bahnhof auf drei Menschen ein. Er begründete die Tat mit dem britischen Bombardement der Terrormiliz Islamischer Staat. Vor vier Jahren überrollten zwei muslimische Konvertiten nigerianischer Abstammung den Soldaten Lee Rigby auf einer Straße und ermordeten ihn vor den Augen von Passanten mit einem Fleischermesser.