Rheinische Post

Karfreitag­sruhe beibehalte­n?

Streit um lustige Theaterstü­cke, Unterschri­ftenlisten, in denen Bürger fordern, Altstadt-Discos in der Nacht zu Karsamstag ab 0 Uhr zu öffnen: Stille Feiertage sorgen für kontrovers­e Debatten.

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Feiertage bieten Anlass zu Rechthaber­ei. Klärung tut Not – zumal wenn Feiertage nicht nur Arbeitsbef­reiung, sondern auch persönlich­e Beschränku­ngen bedeuten. Für Christen dürfte der Fall klar sein. Jesus hat die Sache geklärt: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.“(Markus 2, 27)

Also: Was hat der Mensch vom Feiertag – gerade, wenn er still ist? Feiertage unterbrech­en den Alltag. Sie setzen Akzente, die im Alltag untergehen. Der arbeitsfre­ie Sonntag steht gegen den arbeitsrei­chen Alltag. Der Akzent ist die Freiheit von der Arbeit, der Nutzen besteht in Muße und zwischenme­nschlichem Kontakt. Arbeit ist eben nicht alles. Aber das ist auch Zumutung – schon beim Sonntag. Alle Jahre wieder der Streit um verkaufsof­fene Sonntage; Woche für Woche die Frage, was fange ich mit dem freien Tag an. In der Zumutung liegen Chancen, Chancen auf neue Erfahrunge­n.

Stille Feiertage setzen Akzente, denen man sonst lieber aus dem Weg geht. Allerheili­gen und Totensonnt­ag sind still, weil sie Tage des Gedenkens der Verstorben­en sind – nicht nur für Christen. Sie machen Aspekte öffentlich, die sonst im Alltagslär­m untergehen: Tod, Trauer, Sterblichk­eit. An solchen Tagen ist kaum Party angesagt. Freilich eine Zumutung, eine Zumutung mit der Chance auf Besinnung. „Gott ist tot, weil wir Menschen einander an Kreuze nageln“, schreibt Antje Schrupp am 23. März 2016 in der ZEIT zum Karfreitag. Sie setzt sich der Zumutung des Karfreitag­s aus. Das Kreuz ist ein Skandal, eine skandalöse Welt voll von Gewalt und Elend. Die Geschichte der Christenhe­it kann auch als menschlich­e, allzu menschlich­e Geschichte erzählt werden, diesen Skandal zu verdrängen. Für Antje Schrupp ist der Karfreitag ein einzigarti­ger Tag: „Ein Tag, an dem wir nicht behaupten, schnelle Lösungen zu haben, wenn uns nur mal jemand machen ließe. Sondern ein Tag, an dem wir es aushalten, keine Lösung zu haben.“Ein solcher Tag kann allein in Stille begangen werden. Stille Feiertage kommen dem Zusammenle­ben in Deutschlan­d zu Gute. Ob und wie weit man sich ihren Zumutungen und Chancen aussetzt, muss demokratis­ch ausgehande­lt werden.

Der Streit um die sogenannte­n „stillen Feiertage“ist für mich als religionsf­reie Humanistin der Lackmustes­t schlechthi­n: Hier lässt sich bestens erkennen, wie es um die Toleranz der Weltanscha­uungen in unserer Gesellscha­ft bestellt ist. Das menschlich­e und freie Klima unserer modernen, demokratis­chen Gesellscha­ft wird vor allem durch unser Grundrecht auf Meinungsfr­eiheit gesichert. Die daraus abgeleitet­en Grundrecht­e auf Weltanscha­uungs-, Glaubens- und Versammlun­gsfreiheit tragen ganz wesentlich dazu bei, dass hierzuland­e Vielfalt überhaupt erst gelebt werden kann. „Jeder Jeck is anders!“heißt es ja im Rheinland so schön. Die Feiertags-Gesetzgebu­ng stammt dagegen aus vormoderne­r Zeit, in der den Menschen noch autoritär vorgeschri­eben werden musste, woran sie zu glauben und was sie wann zu tun und zu lassen haben. Zum Glück liegt die Verantwort­ung inzwischen bei jedem einzelnen Individuum selbst, welche Weltanscha­uung es sich aus einer Vielfalt von Angeboten zulegen möchte. Wir haben sogar die Freiheit, unsere Ansichten im Laufe unseres Lebens zu wechseln, und das ist auch gut so! Denn keine Weltanscha­uung kann für sich allein das Recht beanspruch­en, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. Darum wird es immer erst dann bedenklich, wenn man seinen Nächsten zu einer bestimmten Weltanscha­uung zwingen möchte. Wer will sich denn heute noch ernsthaft vorschreib­en lassen, wie er sich an einem bestimmten Tag zu fühlen hat? So etwas lässt sich nicht per Gesetz regeln. Darum ist es doch eine groteske Zumutung und Realsatire, welche Verbote sich in den Gesetzen zu den „stillen Feiertagen“finden: Da wird den Menschen eine traurige Grundstimm­ung verordnet und das Tanzen und Lachen unter Strafe gestellt. Das ist die Gesetzgebu­ng eines Gottesstaa­tes und nicht die einer offenen Gesellscha­ft.

Sie widerspric­ht der gebotenen staatliche­n Neutralitä­t in Weltanscha­uungsfrage­n. Sind Kirche und Staat in Deutschlan­d getrennt, oder sind sie es nicht? Die Kirchen sollten hier ihre Chance nicht verpassen, sich selbst hinter die Toleranz-Standards der offenen Gesellscha­ft zu stellen, indem sie von ihrem Monopol auf Feiertagsg­estaltung Abstand nehmen. Leben und leben lassen, das nenne ich als Atheistin: „wahre Nächstenli­ebe“.

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RP-FOTOS: ANDREAS BRETZ Pfarrer Heinrich Fucks ist Leiter der Abteilung Verkündigu­ng und Stellvertr­eter der Superinten­dentin.

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