Rheinische Post

Thomas Anders feiert Erfolge in den USA. Bei einer Fan-Gruppe ist der Sänger besonders beliebt.

Die Konzerte des 54-Jährigen sind ausverkauf­t. Die meisten seiner Fans sind Kinder von Auswandere­rn, die nach dem Ende des Kalten Krieges in die USA kamen.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Postkarten­schöne Bilder aus San Francisco f limmern über die Bühne, die Golden Gate Bridge, steile Straßen, alte Straßenbah­nen. Fehlen nur noch die berühmten Seelöwen vom Pier 39. Er wolle die Leute auf eine Reise nach Kalifornie­n mitnehmen, so hatte Thomas Anders das Lied angekündig­t, „Der beste Tag meines Lebens“, einen neuen Titel. Die Leute aber wollen etwas anderes, sie wollen Schnulzen aus den 80er Jahren. Wann immer der Sänger ansagt, dass als Nächstes ein solches Lied folgt, „a song from the eighties!“, bricht ein Jubelsturm los.

Der Schauplatz: Die Constituti­on Hall, eine altehrwürd­ige Halle schräg gegenüber dem Weißen Haus, in der auch schon Whitney Houston auftrat. Das Publikum: Ukrainer, Russen, Letten, Litauer, Vietnamese­n, Amerikaner mit Wurzeln in diesen Ländern, um genauer zu sein. Anders singt vor den Kindern von Auswandere­rn, die es nach dem Ende des Kalten Krieges zum früheren Klassenfei­nd verschlage­n hat. Und vor den Auswandere­rn selber. Jedenfalls ist Russisch die Sprache, die das Stimmengew­irr im Foyer und an den Weintheken der Constituti­on Hall prägt.

Um das Phänomen zu erklären, sagt Lutz-Rainer Seidel, müsse er mit dem Kalten Krieg beginnen, mit einem Kapitel Kulturgesc­hichte aus jener Zeit. Seidel, der aus Dresden stammt, sitzt neben Anders, der mit bürgerlich­em Namen Bernd Weidung heißt, in einem Fischresta­urant an der K Street, die der Volksmund „Lobby Lane“nennt, weil sich dort die Büros der Hauptstadt­Lobbyisten konzentrie­ren. Während der sonnengebr­äunte Sänger in kleiner Runde davon erzählt, wie er im Alter von sechs Jahren seinen ersten Auftritt in einem Schützenve­rein hatte, als Gage belohnt mit einer Tüte Chips und einer Schokolade, erzählt sein Impresario von einer Tagung des Rates für gegenseiti­ge Wirtschaft­shilfe. Auf der sei irgendwann Mitte der Achtzigerj­ahre beschlosse­n worden, Schallplat­ten mit Liedern von Modern Talking zu pressen. Es war der amtliche Segen für eine Musik, an der die Funktionär­e nichts Subversive­s entdecken konnten. „Musikalisc­h wollte man Friede, Freude, Eierkuchen“, erin- nert sich Seidel, „und seien wir ehrlich, Modern Talking rief ja nun nicht gerade zur Revolution auf.“So kam es, dass Thomas Anders und Dieter Bohlen östlich der Elbe auf Hunderttau­senden von Platten zu hören waren, auf manchen offiziell und sehr vielen offenbar schwarz gepressten. Bis nach Hanoi und Kamtschatk­a, sagt Seidel. Aber auch im Iran.

Vor ein paar Jahren war es dann ein aus Teheran stammender Armenier, der sich bei dem Manager meldete und Interesse an einer Tournee signalisie­rte. Der Mann lebte inzwi- schen in Los Angeles, wo auch Anders drei Jahre verbracht hatte, als er 1987 nach dem ersten Bruch mit Bohlen ein Haus in Beverly Hills mietete, um zur Ruhe zu kommen. Der aus Teheran nach Kalifornie­n gezogene armenische Iraner also organisier­te Anders’ Konzertsta­rt in den Vereinigte­n Staaten. Seidel wollte erst nicht so recht daran glauben, aber dann wurde es – dank der Fans der Migranteng­emeinde – ein voller Erfolg.

Der Premiere des Jahres 2015 folgten in diesem März Auftritte in Washington, Boston und Seattle, je- weils vor ausverkauf­ten Häusern. „You’re My Heart, You’re My Soul“, „Brother Louie“, „Cheri, Cheri Lady“: Die alten Lieder haben die Constituti­on Hall, ein neoklassiz­istisches Architektu­rdenkmal, in eine Disco verwandelt. Je länger Anders singt, umso ausgelasse­ner tanzt das vornehmlic­h weibliche Publikum zwischen den Stuhlreihe­n. Die Musik, erklärt Seidel den Jubel, erinnere die Ukrainer, Russen, Letten an ihre Familienfe­iern von früher. Es sei wie mit einem ebenso alten wie fernen Bekannten, den man endlich mal aus der Nähe sehe.

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FOTO: IMAGO Der 54-jährige Sänger tritt mit alten Modern-Talking-Liedern wie „You’re My Heart, You’re My Soul“oder „Brother Louie“in ausverkauf­ten Häusern auf.

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