Rheinische Post

Der Koch bin ich

Das „Schiffchen“feiert sein 40-jähriges Bestehen. Jean-Claude Bourgueil ist der Chef des Sterne-Restaurant­s in Kaiserswer­th.

- VON TORSTEN THISSEN

KAISERSWER­TH Am Mittag liegt die Küche im „Schiffchen“noch vor Anker, ein einzelner Koch stapelt Kohlköpfe in Plastikeim­er, schafft Orangen und Zitronen ins Lager, empfängt die Lieferante­n. Die bringen zum Beispiel die Butter von JeanYves Bordier, die als beste Frankreich­s gilt, und die Kaninchen, die ein französisc­her Züchter langsam mit Klee, Kräutern und Getreidesc­hrot gemästet hat. Ihr Fleisch ist nahezu fettfrei.

Der Koch füllt Wasser in einen Topf, setzt ihn auf den Herd, der unter dem Abzug der ehemaligen Esse des Barockhaus­es in Kaiserswer­th steht. Das Ganze passiert in einer einzigen, fließenden Bewegung, wie in allen wirklich guten Küchen, auf der ganzen Welt, wo es obligatori­sch ist, sich militärisc­h knapp einen „Guten Morgen“zu wünschen, wo die Anweisunge­n des Chefs laut wiederholt werden, die Haare kurz, die Hände sauber und die Kochjacken weiß wie die ersten Schneeglöc­kchen sind. Das „Schiffchen“beherbergt die beste Küche Düsseldorf­s, eine der besten Deutschlan­ds, doch kann man das so eigentlich gar nicht sagen. Kochen auf diesem Niveau ist ja Kunst und ein Gericht ein Gemälde, und wer sagt, dass Picasso besser gemalt hat als Matisse, der begibt sich ja auch auf dünnes Eis.

Was man sagen kann, ist, dass das Restaurant einzigarti­g ist, denn normalerwe­ise ist Sterne-Gastronomi­e ein Verlustges­chäft. Teure Hotels leisten sie sich, um zahlungskr­äftige Kunden anzuziehen, Konzerne finanziere­n Restaurant­s, um ein wenig Glamour in an sich öde Industrien­ester zu bekommen, und dann gibt es noch die Köche, die ein kleines Imperium aufgebaut haben, deren Sterneküch­e Teil einer Mischkalku­lation ist, zu der Kochbücher, - kurse und Geflügelfo­nds beim Discounter gehören. Das „Schiffchen“ist ein Restaurant, wo mit riesigem Aufwand wenig Gewinn gemacht wird, wenn es gut läuft. 2017 besteht es seit 40 Jahren, nur das „Tantris“in München kann eine so lange Tradition in der deutschen Spitzengas­tronomie vorweisen, dort kochten Eckart Witzigmann, Heinz Winkler, Hans Haas. Im „Schiffchen“gibt es seit jeher nur einen Chef, und der heißt Jean-Claude Bourgueil, 69 Jahre alt, Träger des Ritterorde­ns der Ehrenlegio­n wegen seiner Verdienste als „kulinarisc­her Botschafte­r Frankreich­s“.

Bourgueil kommt gegen eins in sein Restaurant, zehn Minuten vorher ist seine Mannschaft vollzählig in der Küche und mit den Vorbereitu­ngen beschäftig­t. Junge Köche und Köchinnen arbeiten bei ihm, er grüßt, er lächelt, beantworte­t ein paar Fragen, gibt kleine Anweisunge­n, spätestens jetzt wird der Anker im „Schiffchen“gelichtet, die Maschine läuft mit einer Souveränit­ät, die trotz ruhiger See die Sicherheit vermittelt, auch schwerste Unwetter schadlos zu überstehen.

1970 kam Bourgueil in die Stadt, 1977 eröffnete er das „Schiffchen“, erkochte drei Michelin-Sterne, zurzeit sind es zwei, doch Bourgueil sagt, er kocht für die Gäste, nicht für die Sterne, die seien nur ein Hinweis wie ein Straßensch­ild etwa, und dann führt er die Geschichte des die Sterne vergebende­n Guide Michelin aus, letztlich ein Reiseführe­r für Automobili­sten aus dem frühen vergangene­n Jahrhunder­t. Egal sind Bourgueil die Sterne natürlich nicht, soweit würde er nicht gehen, doch sie hemmen ihn manchmal, sagt er, hindern ihn daran, sich neu zu erfinden, oft hat er auch in den vergangene­n 40 Jahren daran gedacht, das Restaurant aufzugeben. „Aber wer will den Laden schon“, sagt er, ohne zu kokettiere­n. Zumal ihn immer noch die Leidenscha­ft treibe, die Neugier, die Zusammenar­beit mit seinen Köchen und mit den Gästen. Bourgueil sagt, dass er immer wieder etwas lerne, was ihn dann schon ins Reine mit seinem Beruf und der Aufgabe in Kaiserswer­th bringt.

Zum Beispiel war letztlich eine ältere Frau aus dem Ruhrgebiet zu Gast. Nach dem Essen hat er sich mit ihr unterhalte­n und sie erzählte ihm, dass sie ursprüngli­ch aus Thüringen kommt und von dort noch eine alte Presse besitze, mit der sie früher bei sich zuhause die Thüringer Klöße zubereitet habe. Bourgueil lud sie ein wiederzuko­mmen, sie kam mit ihrer Presse und gemeinsam bereiteten sie die Klöße zu, aus rohen Jean-Claude Bourgueil und gekochten Kartoffeln, die ausgepress­t werden, damit sich die Stärke absetzt. Bourgueil probierte eine Variante, in der er die Klöße mit flüssiger Butter sättigte. Das war nicht ganz einfach, aber das Ergebnis war „lecker“, wie Bourgueil sagt. „Lecker“, ist in der Welt des JeanClaude Bourgueil der einzige Maßstab. Lecker oder eben nicht lecker – alles andere sei „Schischi“, ein „Gag“wie etwa die Molekulark­üche.

Es wird ja oft so getan, als sei Deutschlan­d und damit auch Düsseldorf vor der sogenannte­n Nouvelle Cuisine kulinarisc­hes Niemandsla­nd gewesen. Jean-Claude Bourgueil sah das in den 1970-er Jahren schon anders. „Hier wurde gut gekocht, deutsch eben, aber lecker. Und vor allem: mit frischen Produkten.“Die internatio­nale Küche allerdings war schon sehr prä- sent – und die war eher schlecht, zubereitet von unausgebil­deten Köchen, die Balkan-Platten und Pizza Hawaii servierten, Pasta zerkochten und Gemüse aus der Dose aufwärmten.

Doch in den großen Hotels etwa kochten die gut ausgebilde­ten Küchenchef­s bürgerlich, traditione­ll, gut, aber eben nicht besonders originell. „Damals bekam man noch einen guten rheinische­n Sauerbrate­n, heute sucht man den in ganz Düsseldorf vergeblich“, sagt Bourgueil. Dabei ist er überzeugt, dass es ein Publikum für dieses Art Essen gäbe, aber: „Um einen Sauerbrate­n gut zu machen, muss man schon etwas vom Kochen verstehen. Schwierig ist das, sehr schwierig.“Heute gilt Bourgueil als Traditiona­list unter den Sterneköch­en. Der GaultMilla­u nannte ihn in seiner letzten Ausgabe unschmeich­elhaft gar den „Hohepriest­er der kulinarisc­hen Redundanz“. Ihn selbst ficht das nicht an. Was ihn stattdesse­n beschäftig­t, ist die perfekte dunkle Mehlschwit­ze, deren Zubereitun­g für ihn einem Krimi gleicht („schwierig, sehr schwierig.“). Schlaflose Nächte hat er nicht wegen solcher Kritiken, sondern wegen seines Hobbys, dem Brotbacken. Seit Jahren versucht er, ein Brot zu backen, dass dem eines Pariser Bäckers gleicht. „Ich krieg es einfach nicht hin“, sagt er. Dabei sorgt Bourgueil für seinen Sauerteig besser als eine reiche Witwe für ihr Schoßhündc­hen, er pflegt und hegt ihn jeden Tag, sorgt für die richtige Temperatur, füttert ihn und doch klappt es nicht. Zumindest nicht auf dem Niveau des Pariser Bäckers.

Bourgueil spricht oft von alten Frauen, die noch kochen konnten. Er selbst wuchs bei seiner Großmutter auf, die einmal im Monat im Steingutof­en Bauernbrot buk, die Sainte-Maure-Ziegenkäse herstellte, mit einem Strohhalm in der Mitte. Bourgueil bewundert diese Kochkunst bis heute. Denn eigentlich gehe es beim Kochen ja darum, aus dem, was da ist, etwas zu machen, das lecker schmeckt. Gutes Essen muss nicht teuer sein. So liebt er zum Beispiel den Schweinsko­pf, „und den bekommen sie beim Metzger fast umsonst“, sagt er.

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN Jean-Claude Bourgueil in seiner Küche: Seit 40 Jahren kocht der Franzose in Düsseldorf.

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