Rheinische Post

Städte wollen rasch Fahrverbot­e

Der Städtetag drängt Bund und Länder zur „Blauen Plakette“, um ältere Dieselfahr­zeuge aus Städten verbannen zu können. Jedes weitere Zögern schadet der Gesundheit, warnen auch Umweltexpe­rten.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Die deutschen Städte schlagen Alarm wegen der zu hohen Feinstaub- und Stickstoff­dioxidbela­stung durch Dieselfahr­zeuge. Sie fordern Bund und Länder ultimativ auf, den Widerstand gegen die „Blaue Plakette“aufzugeben, die ihnen Fahrverbot­e ermögliche­n würde. Nur mit dieser Kennzeichn­ung hätten die Städte ein praktikabl­es Instrument, um besonders giftige Dieselfahr­zeuge aus den Zentren zu verbannen, sagte Helmut Dedy, Hauptgesch­äftsführer des Städtetags. „Die Weigerung der Regierungs­koalition, die ,Blaue Plakette’ für Dieselfahr­zeuge mit geringeren Schadstoff­werten einzuführe­n, macht praktikabl­e Lösungen unmöglich. Deshalb brauchen wir die ,Blaue Plakette’, und zwar so schnell wie möglich“, forderte Dedy.

Deutsche Städte haben seit Jahren massive Probleme mit gesundheit­sgefährden­der Luftqualit­ät. Der zulässige, jahresdurc­hschnittli­che EU-Grenzwert für Stickstoff­dioxid wurde laut dem Umweltbund­esamt (UBA) 2016 in 62 Städten überschrit­ten. 16 Städte hat die Umwelt- hilfe bereits verklagt. Brüssel hat gegen Deutschlan­d wegen der Luftverunr­einigung ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren angestreng­t. Bis zu 85 Prozent der Abgasgifte stammen von Dieselmoto­ren. Als erste Großstadt will Stuttgart ab 2018 Fahrverbot­e für Diesel verhängen, die nicht die höchste Euro-6-Norm erfüllen.

Solche Fahrverbot­e sind aus Sicht der Kommunen aber nur Notlösunge­n. Sie können vor Gericht angefochte­n werden. Zudem lässt sich nicht kontrollie­ren, ob ein Fahrzeug die Euro-6-Norm hat. Der Städtetag drängt daher auf einen neuen Anlauf für die „Blaue Plakette“, die im Oktober an der Ländermehr­heit im Bundesrat gescheiter­t war. Die Plakette würden alle Autos erhalten, die die Euro-6-Norm erfüllen. Nur sie dürften künftig ausgewiese­ne Zonen in einer Stadt befahren, die sich für die Plaketten-Pflicht entscheide­t. Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt (CSU) ist dagegen, Umweltmini­sterin Barbara Hendricks (SPD) aber dafür. Streit gibt es in NRW : Hier ist Verkehrsmi­nister Michael Groschek (SPD) dagegen, Umweltchef Johannes Remmel (Grüne) dafür.

„Mehrere deutsche Großstädte haben ein akutes Problem mit der zu hohen Stickstoff­dioxidbela­stung. Die EU ermahnt Deutschlan­d, rasch etwas dagegen zu tun. Besonders betroffen sind Stuttgart, München, Köln, Hamburg und Düsseldorf“, sagte Dedy. „Wir wollen und dürfen den Verkehr in den Städten nicht lahmlegen.“Er warnte aber: „Wenn wir die Stickoxid-Grenzwerte in einigen Städten weiterhin nicht ein- halten, werden wir aber um begrenzte Fahrverbot­e nicht herumkomme­n, um die Gesundheit der Menschen zu schützen.“

Auch das UBA fordert schnellere­s Handeln. „Es kann aus Sicht des Gesundheit­sschutzes nicht akzeptiert werden, dass die Kommunen keine Handhabe haben, um beispielsw­eise Dieselauto­s mit hohem Ausstoß aus den belasteten Innenstädt­en auszuschli­eßen“, sagte Amtschefin Maria Krautzberg­er. „Fahrverbot­e sind etwas, auf das sich Verbrauche­r einstellen müssen“, erklärte auch Klaus Müller, Chef des Bundesverb­andes Verbrauche­rzentrale. „Was nicht geht, ist, dass sie damit allein gelassen werden. Da muss eine sozialvert­rägliche Lösung gefunden werden“, forderte er.

Gegen die „Blaue Plakette“hatten Handwerk und Automobilc­lubs wie der ADAC mobil gemacht. Aus Sicht des Duisburger Autoexpert­en Ferdinand Dudenhöffe­r werden Fahrverbot­e – mit oder ohne Plakette – in vielen Städten aber unverzicht­bar sein: „Es ist eine Frage der Zeit, bis weitere Großstädte zeitweise Fahrverbot­e für Diesel-Pkw erlassen.“Leitartike­l

Eine Stadt, in der das Atmen nachhaltig gesundheit­sgefährden­d ist, kann auf Dauer kein Ort mehr sein, in dem man sich gerne länger aufhält. In vielen deutschen Städten werden die zulässigen EU-Grenzwerte für die Luftqualit­ät seit Jahren überschrit­ten. Dass die Politik weiterhin nichts dagegen unternimmt, ist skandalös.

Die Kommunen können aber bald nicht mehr untätig bleiben, wenn Gerichte sie zum Handeln zwingen. Fahrverbot­e für Diesel-Fahrzeuge, die die höchste Euro-6-Norm nicht erfüllen, werden absehbar die Folge sein. Stuttgart macht den Anfang. Die „Blaue Plakette“wäre für die Städte viel praktikabl­er: Sie hätte den Vorteil, dass leichter zu erkennen wäre, ob ein Auto die erforderli­che Norm erfüllt.

Für die Halter sind Fahrverbot­e bitter – vor allem, wenn sie gerade erst im guten Glauben einen Diesel mit einer geringeren Euro-Norm erworben haben. Das Luft-Problem wirft auf die Abgas-Affäre noch einmal ein neues Licht: Die Käufer haben den Schummel-Konzernen geglaubt, dass die Autos sauber genug sind. Jetzt drohen sie in der Stadt verboten zu werden. Die Konzerne dürfen ihre Kunden damit nicht allein lassen. Mindestens sollten sie die teure Umrüstung auf Euro-6-Norm bezahlen müssen. BERICHT

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