NRW: hohe Steuern, wenig Wachstum
Die Steuerquote im Land wuchs zuletzt schneller als im Bund. Der Regierung stehen zehn Milliarden Euro mehr pro Jahr zur Verfügung als 2010. Ökonomen fordern mehr Investitionen und Entlastungen.
KÖLN/BERLIN Die Steuerbelastung von Bürgern und Unternehmen in Nordrhein-Westfalen ist in den vergangenen Jahren stärker gestiegen als im Bund. Dies geht aus einer noch unveröffentlichten Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervor, die unserer Redaktion vorliegt. Demnach reklamiert das Land NRW einen immer größeren Anteil der Wirtschaftskraft für sich: Die Steuerquote – die Steuereinnahmen bezogen auf die Wirtschaftskraft des Landes, die zuletzt stets unter dem Bundesschnitt lag – nahm demnach zwischen 2010 und 2016 um 1,4 Prozentpunkte (von 6,7 auf 8,1 Prozent) zu. Dadurch standen der Landesregierung 2016 fast zehn Milliarden Euro mehr zur Verfügung als in dem Jahr, in dem die rot-grüne Regierung unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) ins Amt gekommen war.
Der Bund erhöhte seine Steuerquote zwischen 2010 und 2016 dagegen nur um 0,4 Prozentpunkte auf 9,2 Prozent. Die Steuerbelastung steigt jedes Jahr allein aufgrund der sogenannten kalten Progression: Da die Einkommensteuersätze nicht an die Inflation angepasst werden, Löhne und Gehälter jedoch steigen, nimmt allein deshalb die Steuerbelastung zu. Doch Nordrhein-Westfalen hat seine Einnahmenbasis zusätzlich verbessern können: Es erhöhte die ihm zustehende Grunderwerbsteuer deutlich von 3,5 auf 6,5 Prozent. „Außerdem profitiert das Land besonders davon, dass der Bund zugunsten der Länder auf eigene Steueranteile verzichtet hat“, sagte IW-Forscher Tobias Hentze.
Dennoch plane die Landesregierung 2017 wieder mit einem hohen Haushaltsdefizit von 1,6 Milliarden Euro, kritisierte Hentze. Auch der Wirtschaftsweise Lars Feld findet, NRW hätte „angesichts der sprudelnden Steuereinnahmen seinen Haushalt stärker konsolidieren müssen“. Zu den konjunkturellen Mehreinnahmen und einzelnen Steuererhöhungen kämen Mittel, die der Bund den Ländern zusätzlich zur Verfügung gestellt habe. „Es ist unverständlich, warum NRW diese Situation nicht besser genutzt hat. Das Land hat offenbar ein Ausgabenproblem“, sagte der Freiburger Ökonom.
Die Haushaltspolitik ist eines der Top-Themen im laufenden Landtagswahlkampf. Die Ist-Zahlen am Ende eines Jahres müssten klar von den Soll-Zahlen am Jahresanfang unterschieden werden, sagte eine Sprecherin des SPD-geführten NRW-Finanzministeriums. Das im Haushaltsplan 2017 enthaltene hohe Defizit werde am Jahresende voraussichtlich nicht stehen bleiben, wenn der Bund seine Zahlungsverpflichtungen für die Flüchtlingsversorgung auf hohem Niveau fortsetze. 2016 hatte NRW erstmals seit mehr als 40 Jahren wieder einen Überschuss von 217 Millionen Euro erzielt. Auch 13 weitere Bundesländer schlossen das Jahr mit einem Plus ab, in vielen lag es aber deutlich höher als in NRW.
„Eine reine Sparpolitik höhlt die Fundamente unseres Wohlstandes aus“, sagte die Ministeriumssprecherin. „Darum müssen wir nicht nur konsolidieren, sondern die günstige Haushaltslage weiterhin für Investitionen insbesondere in den Bereichen Bildung, Sicherheit, Kommunen und Infrastruktur nutzen.“Das IW wirft der Landesregierung allerdings vor, die finanziellen Spielräume zu wenig für Investitionen und Entlastungen zu nutzen. „Die Steuermehreinnahmen haben nicht dazu geführt, dass die Investitionen in NRW stark gestiegen sind oder Steuern gesenkt wurden. Das Geld ist an anderen Stellen im Haushalt gelandet“, sagte Hentze. „Die Grunderwerbsteuer in NRW ist zu hoch und sollte mindestens auf den Bundesdurchschnitt von fünf Prozent gesenkt werden.“
DÜSSELDORF Jedermann kann es nachlesen. Auf 300 Seiten hat das Bundesverfassungsgericht festgehalten, was die NPD mit Deutschland vorhat. Das höchste deutsche Gericht im Karlsruher Schlossbezirk schreibt in seinem Urteil von Mitte Januar: „Das politische Konzept missachtet die Menschenwürde aller, die der ethnischen Volksgemeinschaft nicht angehören.“Die NPD strebe einen autoritär ausgerichteten Nationalstaat an. Die rechtsextreme Partei respektiert den Menschen nicht kraft seiner Würde, sondern kraft seines deutschen Blutes. Diese Partei ist verfassungsfeindlich, aber sie gehört nicht verboten, entschied das Gericht. Sie sei zu unbedeutend.
Die deutsche Politik will das nicht ertragen. Sie hat nach Wegen gesucht, dem politischen Treiben der Rechtsextremen Einhalt zu gebieten. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle hatte bei der Urteilsverkündung angemerkt, man könne ja das Grundgesetz ändern und verfassungsfeindliche Parteien von der staatlichen Finanzierung ausschließen. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) nahmen diesen höchstrichterlichen Hinweis ernst und ließen entsprechende Gesetzentwürfe erarbeiten. Der Staat müsse nicht seine Feinde finanzieren, finden sie. Bisher bekommen Parteien unabhängig von ihrer Ausrichtung und abhängig von ihren Wahlergebnissen und Einnahmen Geld vom Staat.
Die beiden Minister haben ihren Fraktionen im Bundestag daher eine „Formulierungshilfe“zukommen lassen. Formulierungshilfe deshalb, weil die Regierungsfraktionen den Entwurf einbringen sollen. De Maizière und Maas wollten den Abgeordneten etwas auf die Sprünge helfen. Die Gesetzentwürfe liegen unserer Redaktion vor. Geplant ist, das Grundgesetz und sieben einfache Gesetze zu ändern. Verfas- sungsfeindliche Parteien sollen von der staatlichen Finanzierung und steuerlichen Erleichterungen ausgeschlossen werden. Laut einem neuen Artikel 21 Absatz 4 des Grundgesetzes würde das Bundesverfassungsgericht über den Einsatz der neu geschaffenen Sanktion entscheiden.
Politische Parteien sollen so unterhalb der Ebene eines Verbots bestraft werden können. Das ist im Parteienrecht bisher nicht vorgesehen. Der Grund dafür ist das Parteienprivileg, das Artikel 21 in seiner jetzigen Form festschreibt. Alle Parteien sind so lange gleichberechtigt und verfassungskonform, bis das Bundesverfassungsgericht das Gegenteil feststellt. Alle Parteien, die nicht verboten sind, haben gleiche Chancen und Startbedingungen. Sonst besteht die Gefahr, dass eine politische Mehrheit mit einfachen Mitteln eine politische Minderheit mundtot machen könnte.
Nun ist das Vorhaben der Regierung – der Bundesrat hat ähnliche Pläne – konkret auf die NPD bezogen. Das primäre Ziel ist nicht etwa, irgendwelchen zukünftigen verfassungsfeindlichen Parteien den staatlichen Geldhahn zuzudrehen, sondern explizit der NPD. Der neue Artikel 21 Absatz 3 des Grundgesetzes, der dies regeln soll, wäre eine „Lex NPD“. Wollte man spotten, könnte man sagen: Immerhin so hat sie es in die Verfassung geschafft. Aber das würde ihr auch nicht mehr weiterhelfen. Denn: Dies wäre nicht weniger als ein „Parteiverbot light“. Ein NPD-Verbot auf Umwegen.
Der jüngste Rechenschaftsbericht der NPD, so etwas wie ein Geschäftsbericht der Parteien, dokumentiert die Finanzen des Jahres 2014. Aus dem Papier geht hervor, dass knapp die Hälfte aller Einnahmen der NPD aus staatlichen Mitteln stammen. Der deutsche Bundestag überwies vor drei Jahren etwa 1,4 Millionen Euro an die Rechtsextremen. Und trotzdem verzeichnet der Bericht ein Minus von gut 352.000 Euro. Der Partei geht allmählich das Geld aus. Müsste sie auf sämtliche Steuergelder verzichten, würde das die Pleite bedeuten. Die NPD würde finanziell ausbluten; das Parteiverbot käme durch die Hintertür.
Die rechtsextreme Partei und ihre Kameradschaft sind abstoßend, ihre Ideologie menschenverachtend. Die NPD tritt die Würde des Menschen, das oberste Prinzip der Bundesrepublik, mit Füßen. Sie bekämpft die Freiheit des Landes mit finanziellen Mitteln eben dieses Landes. Und auch wenn eine Partei mit gut 5000 rechtsextremen Mitgliedern die deutsche Demokratie nach sieben Jahrzehnten nicht an den Rand ihrer Existenz bringt, so leidet der einzelne Mensch unter ihrer Gewalt. Der Flüchtling im Reisebus in Heidenau ist vielleicht nicht so stark wie der deutsche Rechtsstaat. Man würde ihm wünschen, dass er die NPD und ihre Aktionen nicht ertragen müsste. Niemand sollte unter rechtsextremer Gewalt leiden.
Der Wunsch, dieses nationalistische Treiben nicht auch noch durch Steuergelder zu unterstützen, ist mehr als gut nachvollziehbar. Martin Morlok, Parteienrechtler aus Düsseldorf, sagt: „Der Staat ist nicht verpflichtet, seine eigenen Feinde zu finanzieren.“Er hält die bestehende Regelung gar für „irrsinnig“.
Gleichwohl ist das Parteienrecht geprägt vom Grundsatz der gleichen Chancen. Bei der Wahlwerbung im Fernsehen etwa werden die Sendezeiten nach Wahlergebnissen gestaffelt. Hier werden die Parteien zwar unterschiedlich behandelt, aber anhand eines handfesten Kriteriums: des Votums der Wähler. Das Kriterium der Verfassungsfeindlichkeit, auch wenn das höchste deutsche Gericht es attestiert, bleibt aufwendig zu begründen.
Auch wenn es um die Existenz der NPD nicht schade sein mag, so bleibt die Gefahr, dass die „Lex NPD“zu einem Paradigmenwechsel im Parteienrecht führt. Es droht ein Klassensystem, das Ende der Gleichbehandlung. Das ist ein sehr hoher Preis, bloß um das Ende einer einzigen Partei einzuläuten.
„Das politische Konzept der NPD missachtet die Menschenwürde“ Das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 17. Januar zum Parteiverbot