Frauenhaus wagt mehr Offenheit
Die Adressen von Frauenhäusern sind in der Regel nicht bekannt. Die Einrichtung in Euskirchen fährt ein Konzept mit mehr Öffentlichkeit. Sicherheitstechnik soll nun den Schutz bieten. Für die Frauen bleiben soziale Kontakte möglich.
EUSKIRCHEN Der Zaun ist blickdicht und mehr als zwei Meter hoch. An allen Ecken des Hauses nehmen Kameras die Umgebung auf, innen können die Bewohnerinnen über Monitore sehen, was draußen passiert. Sollte jemand versuchen, in das Gebäude einzudringen, wird ein Alarm ausgelöst. Auf jeder Etage gibt es Notrufknöpfe. Sofort wird ein Sicherheitsdienst informiert, und die Bewohnerinnen können ihre Zimmer sowie den Zugang zu ihrer Etage verschließen.
Diese Sicherheitsvorkehrungen sind notwendig, denn die Frauen, die in diesem Haus mitten in einem Euskirchener Wohngebiet leben, sind vor ihren gewalttätigen Männern geflohen. Und wenn diese es drauf anlegen würden, könnten sie vermutlich schnell herausfinden, wo ihre Ex-Partnerinnen sich aufhalten. Denn das Frauenhaus hat die Anonymität aufgegeben und ist nicht mehr ein geheimer Ort, an dem sich Frauen verstecken. „Wir haben immer versucht, anonym zu sein“, sagt Mitarbeiterin Silvia Alt. Aber allein durch die SmartphoneTechnik war es schwer, das Haus geheimzuhalten. Manche Frauen haben von ihren Männern SpionageApps aufs Handy gespielt bekommen, so dass sie sie immer orten konnten. Oder Behörden gaben mitunter auch unabsichtlich den Aufenthalt einer Frau preis. „Und eigentlich weiß jeder Taxifahrer, wo das Frauenhaus ist“, stellt Kollegin Sabine Heinz fest.
Leichtgefallen ist der Schritt aus der Anonymität nicht. Lange hat das Team mit sich gerungen, aber auch eines Tages festgestellt: „Bei der Anonymität handelte es sich streng genommen nur um einen gefühlten Schutz“, sagt Sabine Heinz. Denn wirklich geheimhalten können sie den Aufenthaltsort nicht. Mit jeder Frau wird vor dem Einzug eine Gefährdungsanalyse gemacht. Macht ein Mann seine Partnerin im Frauenhaus ausfindig, wird sie eventuell auch an andere Häuser im Land vermittelt.
Vorbild für das Euskirchener Modell ist das Oranje Huis im nordholländischen Alkmaar. Das Frauenhaus liegt ebenfalls in einem Wohngebiet. Orange steht nicht für die Niederlande, sondern wie bei einer Ampel für den Status einer Beziehung. Die Farbe zeigt an, dass in der Beziehung etwas getan werden muss – es ist eben nicht alles in Ordnung (Grün), aber eben auch noch nicht alles vorbei (Rot). Die Idee ist: „Wir als Gesellschaft müssen mehr für die Sicherheit von Frauen tun“, sagt Heinz. Früher waren die Frauen alleine verantwortlich für ihren Schutz, nun sind es alle. Denn wer nichts vom anderen weiß, der kann auch nicht helfen.
Die Frauen, die oft von ihren Männern von der Außenwelt abgeschirmt wurden, bleiben in Euskirchen nach der Trennung nicht isoliert und unsichtbar. Nun können Hebammen ins Haus kommen, die Helferkonferenzen können vor Ort stattfinden. Und vielleicht der wichtigste Grund: Die Bewohnerinnen und ihre Kinder müssen nicht alle Kontakte abbrechen. Jungen und Mädchen können Klassenkameraden erzählen, wo sie wohnen. Alte Freunde können die Bewohnerinnen an der Tür abholen. Soziale Kontakte bleiben möglich. Und das, so ist die Erfahrung der Mitarbeiterinnen, senkt den Stressfaktor einer Trennung. Die Frauen verlassen zwar ihren Mann und ihre Wohnung, aber sie lassen nicht ihr komplettes Leben hinter sich.
Die Geschichten der Frauen in dem mit Holz verkleideten Haus ähneln sich: Irgendwann kippt die Beziehung, der Mann beginnt, seine Partnerin zu kontrollieren. Meist folgt eine Isolierung von Freunden und Familie, dann eine Abwertung. Du kannst nichts, bist nichts wert, sagt der Mann. Auf erste Schläge folgen Schuldzuweisungen: Du hast mich zur Gewalt provoziert. Es ist immer dasselbe Schema.
Noch steht Euskirchen ziemlich allein mit seinem neuen Konzept. „Die Anonymität ist für uns schon ein wichtiger Schutzgedanke“, sagt Claudia Fritsche, Koordinatorin der Landesarbeitsgemeinschaft Autonomer Frauenhäuser, in der sich 26 Sabine Heinz der 65 Frauenhäuser in NRW zusammengeschlossen haben. Die Idee des Oranje Huis kennt sie, deren Umsetzung koste aber mehr. „Natürlich wäre eine Wohneinrichtung für Frauen, die nicht mehr einen so großen Schutz benötigen, wünschenswert, aber unsere Häuser sind dafür zu klein und finanziell zu schlecht ausgestattet.“60 Prozent ihrer Personalkosten seien durch das Land abgedeckt, der Rest müsse durch Spenden eingeworben werden. In der Förderung der Frauenhäuser gebe es noch „viel Luft nach oben“.
Besonders in Ballungsräumen gebe es nicht genügend Plätze, weil die Frauen durch den hohen Druck auf dem Wohnungsmarkt auch sehr lange bleiben müssten. „Selbst wenn sie sich ein Leben allein zutrauen, finden sie oft keine Wohnung“, sagt Fritsche. Auch im Frauenhaus Euskirchen, das größtenteils durch Land und Kreis finanziert ist, sind die Plätze für acht Frauen und zwölf bis 16 Kinder ständig belegt.
Ein Problem beim Schutz der Frauen ergibt sich durch die Kinder. Denn über sie halten gewalttätige Männer Kontakt, indem die Jugendämter ihnen ein Umgangsrecht gewähren – innerhalb von vier Wochen muss ein Vater sein Kind sehen dürfen. „Früher mussten die Väter selbst herausfinden, wo ihre Familie ist – heute sind wir gezwungen, es ihnen mitzuteilen“, sagt Silvia Alt. Auch viele der Kinder hätten schon Gewalt am eigenen Leib erlebt, zum Teil existenzielle Ängste um das Leben der Mutter oder um das eigene ausgestanden. „Sie leben in ständiger Furcht und sind trainiert, darauf zu achten, wie die Mutter oder der Vater drauf sind und danach ihr Verhalten auszurichten“, sagt Therese EschRedlin, die mit den Kindern arbeitet. „Sie sind ihrer eigentlichen Bestimmung, ein normales Kind sein zu dürfen, völlig beraubt.“Oft ist der Nachwuchs der Auslöser für die Trennung. Wenn die Gewalt des Mannes auf ihre Kinder überschlägt, ist für viele Mütter der Punkt erreicht, an dem sie ihren Partner verlassen. Oder ältere Kinder, die miterleben, wie ihre Mutter zusammengeschlagen wird, sagen: Es reicht, wir gehen. „Das ist
schlimm, dass sie schon diese Verantwortung übernehmen müssen“, sagt Esch-Redlin.
Wie beim Konzept im Oranje Huis geht es auch den Mitarbeiterinnen in Euskirchen nicht darum, die Beziehung, sondern die Gewalt zu beenden. Für das Projekt „Förderung der Täterarbeit als Mittel der Gewaltprävention und der Haftvermeidung“hält das Justizministerium laut Haushaltsplan Zuschüsse in Höhe von 681.600 Euro vor. „Nahezu alle Landgerichtsbezirke verfügen über eine von uns geförderte Beratungsstelle“, betont ein Sprecher des Ministeriums. Laut den aktuellsten Zahlen aus dem Jahr 2015 hätten an dem Programm 536 Täter teilgenommen, von denen 314 mit einer „entsprechenden gerichtlichen oder staatsanwaltschaftlichen Weisung“versehen waren.
Manchmal führt der Weg einer Frau deshalb auch zurück zu dem Mann, der sie einst misshandelt hat. „Wenn eine Frau das will, sind wir auch an ihrer Seite“, sagen die Mitarbeiterinnen in Euskirchen. Auch wenn sie nur zwei Tage im Frauenhaus geblieben ist, geht sie doch als eine andere zurück, weil die Isolation durchbrochen wurde. Ist die Familie wieder vereint, setzt sich manchmal die Gewalt fort. „Aber auch dann kann sie wieder zu uns kommen“, betont Silvia Alt.