Damien Hirst hat sich neu erfunden
Das britische Enfant terrible kehrt in den Kunstzirkus zurück. Nun hält es an zwei Orten in Venedig Hof.
VENEDIG (dpa) Sie gleichen Sphinx und Ungeheuern, kämpfen mit Löwen und Schlangen. Auf ihren Rücken, Köpfen und Armen wachsen Korallen und haften Seemuscheln. Zehn Jahre hat Damien Hirst an den Werken gearbeitet, mit denen er in Venedig zwei Museen bespielt. Mit der Doppelausstellung kehrt der 51jährige Brite nach längerer Kreativpause in die Kunstszene zurück. Unter dem Titel „Treasures from the Wreck of the Unbelievable“, auf Deutsch: Schätze aus dem Wrack der Unglaublichen, zeigt Hirst rund 200 Werke, die ebenso verwirrend und rätselhaft sind wie der Titel.
Über das, was bis 3. Dezember in der Dogenstadt zu sehen ist, wurde vorher wenig bekannt. Nach seinen in Formaldehyd eingelegten Tierkadavern und seinen Schmetterlingsbildern sucht man vergeblich. Seinem Hang zur Gigantomanie und seinem Ruf als Enfant terrible der Kunstszene bleibt Damien Hirst jedoch treu. Als gewagt, exzessiv und ehrgeizig beschreibt der Unterneh- mer François Pinault das Projekt, für das er Hirst den Palazzo Grassi und die Punta della Dogana zur Verfügung stellt. „Nichts hält ihn auf, weder Schwierigkeiten noch Konventionen, noch Kontroversen und Kritiken“, heißt es in Pinaults Vorwort des Ausstellungskatalogs. Der 80-Jährige, der zu den bedeutendsten Kunstsammlern weltweit zählt, ist der stolze Besitzer der beiden Museen in der Lagunenstadt.
Hirst und Pinault kennen sich seit rund 30 Jahren. Aber nicht nur deshalb findet die Ausstellung in Venedig statt. Für das, was zu sehen ist, braucht es Platz. Und den können nur wenige Museen in dieser Form bieten. Der „Dämon mit Schale“füllt mit seinen 18 Metern Höhe das Atrium des Palazzo Grassi aus. Dem Giganten fehlen Kopf, einige Finger, und sein Körper ist mit Korallen und Muscheln übersät. Auch die monumentale Skulptur „Der Krieger und der Bär“ist mit Korallen bedeckt. Denn Hirst erzählt in Venedig den Mythos von einem auf dem Grund des Meeres entdeckten Schatz, der von dem sagenumwobenen Han- delsschiff „Apistos“stammen soll. Der Legende nach soll es voll beladen mit Kunstwerken im zweiten Jahrhundert nach Christus irgendwo zwischen dem Horn von Afrika und dem zum heutigen Tansania gehörenden Inselstaat Sansibar untergegangen sein.
Die Exponate stellen antike Göttinen dar und Fabelwesen wie das Einhorn oder die griechische Sagengestalt Medusa mit Schlangen als Haaren, den Meeresgott Proteus sowie Zyklopen. Gestalten und Kreaturen, von denen niemand weiß, ob es sie je gegeben hat, und von denen es lediglich Phantomzeichnungen gibt. Wie immer spaltet Hirst. Die Kritiken reichen von kitschig, überzogen bis zu zynisch, originell, tiefgründig. Martin Béthenod, Direktor der Pinault-Museen, die Ausstellung mit einer Wunderkammer verglichen. Der Begriff bezeichnet Sammlungen von kuriosen Artefakten und bezieht sich auf das Wunderliche des Objekts und die Verwunderung des Besuchers.