Kirche, Fürsten und Touristen
Martin Luther verbringt sein ganzes Leben im sächsisch-thüringischen Raum. Die kurfürstlich sächsischen Lande werden zum Labor der lutherischen Reformation. Heute, 500 Jahre später, sprechen Marketing-Strategen gern vom „Lutherland“.
ber seine Wirkungsstätte macht sich Martin Luther wenig Illusionen. Wittenberg liege „am Rande der Kultur“, sagt der Reformator 1532 in einer Tischrede. Und er hat recht, zumindest auf den ersten Blick – Wittenberg ist im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts ein Städtchen von 2000 Seelen im nordöstlichen Winkel des Kurfürstentums Sachsen. Umso erstaunlicher, dass dieser Flecken zum Brennpunkt einer weltgeschichtlichen Umwälzung wird – Luther selbst vergleicht Wittenberg nur 13 Jahre nach jener Tischrede gar mit Jerusalem. Dabei ist er zeit seines Lebens nur für einzelne Reisen, etwa nach Rom, aus seiner Heimat herausgekommen. biblische ther weist Kurfürst Johann 1528 die Rolle eines „Notbischofs“zu – Kursachsen ist das Modell für das evangelisch-landeskirchliche Regiment.
Den Kurfürsten bringt ihr Eintreten für den neuen Glauben übrigens kein Glück: 1547, ein Jahr nach Luthers Tod in seiner Geburtsstadt Eisleben, besiegt der Kaiser die protestantischen Landesherren; Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen, Neffe Friedrichs des Weisen, geht in Gefangenschaft. Seine Kurwürde, also das Recht, den römisch-deutschen König mitzuwählen, geht auf den anderen, in Dresden residierenden Zweig der Wettiner über.
Heute ist das alte Kursachsen wieder ein Labor. Es verteilt sich auf Thüringen, Sachsen und SachsenAnhalt, die ihr Erbe gern unter dem Titel „Lutherland“vermarkten. Eisleben und Wittenberg nennen sich offiziell Lutherstadt. Ein Labor ist Lutherland vor allem, weil hier der Spagat gelingen soll, in einer weithin entkirchlichten Region – nirgends in Europa, ergab 2012 eine US-Studie, glauben so wenige Menschen an Gott wie in Ostdeutschland – die Erinnerung an eine kirchlich-politische Zeitwende zu präsentieren, ohne in plumpes Marketing abzurutschen. Gelingen soll das, typisch deutsch, durch einen Mix kirchlicher und staatlicher Planung. Es gibt einen gemeinsamen Verein der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Evangelischen Kirchentags, aber auch eine staatliche Geschäftsstelle, die Bund und sieben Länder tragen.
Bodo Ramelow, engagierter Protestant und erster von der Linkspartei gestellter Ministerpräsident der Bundesrepublik, nämlich in Thüringen, stellt die touristische Dimension des Jubiläums gleichberechtigt neben die religiöse und die wissenschaftliche. Zur kirchlichstaatlich gemischten Organisation sagt er: „In Teilen überschneiden sich unsere Ziele. Wie andere vergleichbare Akteure erhalten die Kirchen natürlich die Unterstützung des Freistaats.“Eine „unangemessene Bevorzugung“könne er nicht feststellen. Kritiker, auch aus Ramelows eigener Partei, tun das durchaus und meinen Reste jener Allianz von Thron und Altar zu erkennen, deren Grundstein die Fürsten vor 500 Jahren legten. Auch Ramelows Kollege in Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), hat sich skeptisch zur staatlichen Finanzierung kirchlicher Großereignisse geäußert.
Apropos Thron und Altar: Ende Mai findet in Berlin und Wittenberg der Evangelische Kirchentag statt. Das heißt: Er findet in Berlin statt; für Wittenberg sind nur ein Camp in den Elbwiesen, Abschlussgottesdienst, „Reformationspicknick“und ein Konzert vorgesehen. Eigentlich, so lautet eine Version, wollte man für den Gottesdienst dort Michelle Obama gewinnen. Nun kommt ihr Mann Barack, aber nach Berlin, zu einer Diskussion mit der Bundeskanzlerin. Man könnte darin protestantische Wahlkampfhilfe für Angela Merkel sehen – mitten in der Hauptstadt statt „am Rande der Kultur“.
Zu schade, dass wir nicht wissen, was Luther dazu sagen würde.