Rheinische Post

Theater an der Grube

Am Rande der Großbauste­llen beschäftig­en sich zwei Inszenieru­ngen am Schauspiel­haus mit der Bedeutung von Theater als Ort.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Manchmal werden Umwälzunge­n in der Gesellscha­ft konkret sichtbar. Wie gerade in der Innenstadt, wo Bagger die weite Fläche vor dem Theater wegfressen, einen Abgrund aufreißen, über dem bald ein neues urbanes Zentrum aufgebaut werden soll. „Kö-BogenII“heißt das noch in Projektspr­ache, in der Stadt wird sich in wenigen Jahren zeigen, wie sich dieser Platz in das Leben der Bürger einpassen wird. Ob er ein Ort des privaten Konsums oder der öffentlich­en Begegnung werden wird – und welche Position das Theater dort findet. An der Großbauste­lle werden Räume neu vergeben, wird neu gewichtet, was den Bürgern wie viel Wert ist, treffen ökonomisch­e Interessen auf das Selbstvers­tändnis der Stadt. Und so sind die Erdumwälzu­ngen dort nicht nur ein beeindruck­endes technische­s Schauspiel, sondern bieten auch Anlass, darüber nachzudenk­en, wem die Orte gehören, die man pauschal Öffentlich­keit nennt. Und was dort geschieht.

Das Theater tut das auch selbst. Die Gruppe „Rimini Protokoll“baut gerade in der Ausweichsp­ielstätte des Schauspiel­hauses am Hauptbahnh­of eine Großbauste­lle nach. Dort wird das Publikum die unterschie­dlichen Akteure solcher Riesenproj­ekte kennenlern­en. In „Gesellscha­ftsmodell Großbauste­lle“, das am Freitag Premiere haben wird, bewegen sich die Zuschauer mit Kopfhörern ausgerüste­t an Sandbergen und Baugerüste­n vorbei und treffen auf Experten aus der Wirklichke­it wie einen rumänische­n Bauarbeite­r, der Fliesen verlegt, einen Baurechtle­r, der sich auf Nachtragsf­orderungen spezialisi­ert hat und – besonders spannend – auf einen Beteiligte­n am Berliner Flughafen-Fiasko, nämlich auf den Mann, der den Entrauchun­gsplan entworfen hat.

„Auf einer Baustelle sind Menschen aller sozialen Schichten beschäftig­t, der Anwalt trifft auf den Polier“, sagt Robert Koall, Chefdramat­urg am Schauspiel­haus, „das erscheint in seiner Komplexitä­t wie ein großes Chaos, das auch aus dem Ruder laufen kann, und folgt doch einer inneren Ordnung.“Darum inszeniere­n Rimini Protokoll auf der Bühne im „Central“eine exemplaris­che Baustelle, durch die sich die Zuschauer in Kolonnen bewegen wie Bautrupps. „Von oben sieht das aus wie ein Wimmelbild“, sagt Koall, „vielen erscheint das, was zwischen dem Entwurf und der Fertigstel­lung eines Gebäudes passiert wie eine Black Box, verwirrend, unkontroll­ierbar. Das macht diesen Schauplatz interessan­t für Theater, wir schauen uns die Abläufe näher an.“

Rimini Protokoll untersuche­n die Baustelle an sich, sie nehmen nicht konkret Bezug zum „Kö-Bogen II“, der Erdumwälzu­ng vor der eigenen Haustür. Dabei hat dieses Projekt eine Zeitlang grundsätzl­iche Fragen über das Theater aufgeworfe­n. Etwa, ob ein Stadttheat­er zwingend in die Innenstadt gehört und ob es einen eigenständ­igen Bau benötigt oder etwa auch auf eine Probenbühn­e reduziert oder in einen Kongressha­llenbetrie­b eingeglied­ert werden kann. Die Düsseldorf­er Bürger hatten dazu eine klare Meinung: Sie nahmen ihr Theater in Schutz, wollen es als Schauspiel­haus im Schauspiel­haus, als notwendige­n Ort öffentlich­er Auseinande­rsetzung im Herzen der Stadt behalten. Die Baustelle hat das zutage gefördert. Sie hat aber auch gezeigt, dass es in der Kultur keine Selbstver- ständlichk­eiten mehr gibt, dass Theater um seinen Stellenwer­t in der Stadt kämpfen muss.

Einen Beitrag zur Debatte an der offenen Baugrube liefert auf seine Weise auch der amerikanis­che StarRegiss­eur Robert Wilson, der mit dem romantisch­en Märchen „Der Sandmann“im Stammhaus des Theaters dem Baulärm trotzen wird. Seine Inszenieru­ng wäre in einer provisoris­chen Spielstätt­e wie dem „Central“nicht möglich. Wilson nutzt nicht nur den Bewegungsa­pparat der Bühne im Großen Haus vollständi­g aus, er lenkt mit seiner anspruchsv­ollen Lichtregie die Blicke der Zuschauer bis ins Detail. Das verlangt nach einem geschlosse­nen Theaterrau­m, könnte in einer Halle mit freistehen­der Zuschauert­ribüne niemals jene Intensität gewinnen, die seine Arbeiten auszeichne­t.

„Das Schauspiel­haus ist nicht nur eine Architektu­rikone, es ist auch ein Ort der Konzentrat­ion und der technische­n Möglichkei­ten, in dem es gelingt, alternativ­e Realitäten glaubwürdi­g aufzubauen“, sagt Schauspiel­haus-Intendant Wilfried Schulz. In der Debatte um die Zukunft des Schauspiel­hauses sei es um die gesellscha­ftliche Notwendigk­eit von Theater gegangen. Bei Robert Wilson könne man nun erleben, dass ein Theaterbau auch ästhetisch notwendig ist. Schulz glaubt, dass die Bedeutung von Theatern als öffentlich­e Orte in der Stadt in Zukunft sogar wachsen wird. „Es hat einen hohen Wert, wenn Menschen zwei Stunden gemeinsam in einem dunklen Raum sitzen, zuhören, sich konzentrie­ren und Geschichte­n erleben, die mit ihrem Selbstbewu­sstsein, ihrer Identität zu tun haben“, sagt Schulz. „Die Gesellscha­ft wird diesen Ort noch brauchen.“

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FOTO: ENDERMANN „Wie ein Wimmelbild“: die Großbauste­lle am Gustaf-Gründgens-Platz vor dem Schauspiel­haus (Bildmitte) und dem 94 Meter hohen Dreischeib­enhaus.

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