Theater an der Grube
Am Rande der Großbaustellen beschäftigen sich zwei Inszenierungen am Schauspielhaus mit der Bedeutung von Theater als Ort.
DÜSSELDORF Manchmal werden Umwälzungen in der Gesellschaft konkret sichtbar. Wie gerade in der Innenstadt, wo Bagger die weite Fläche vor dem Theater wegfressen, einen Abgrund aufreißen, über dem bald ein neues urbanes Zentrum aufgebaut werden soll. „Kö-BogenII“heißt das noch in Projektsprache, in der Stadt wird sich in wenigen Jahren zeigen, wie sich dieser Platz in das Leben der Bürger einpassen wird. Ob er ein Ort des privaten Konsums oder der öffentlichen Begegnung werden wird – und welche Position das Theater dort findet. An der Großbaustelle werden Räume neu vergeben, wird neu gewichtet, was den Bürgern wie viel Wert ist, treffen ökonomische Interessen auf das Selbstverständnis der Stadt. Und so sind die Erdumwälzungen dort nicht nur ein beeindruckendes technisches Schauspiel, sondern bieten auch Anlass, darüber nachzudenken, wem die Orte gehören, die man pauschal Öffentlichkeit nennt. Und was dort geschieht.
Das Theater tut das auch selbst. Die Gruppe „Rimini Protokoll“baut gerade in der Ausweichspielstätte des Schauspielhauses am Hauptbahnhof eine Großbaustelle nach. Dort wird das Publikum die unterschiedlichen Akteure solcher Riesenprojekte kennenlernen. In „Gesellschaftsmodell Großbaustelle“, das am Freitag Premiere haben wird, bewegen sich die Zuschauer mit Kopfhörern ausgerüstet an Sandbergen und Baugerüsten vorbei und treffen auf Experten aus der Wirklichkeit wie einen rumänischen Bauarbeiter, der Fliesen verlegt, einen Baurechtler, der sich auf Nachtragsforderungen spezialisiert hat und – besonders spannend – auf einen Beteiligten am Berliner Flughafen-Fiasko, nämlich auf den Mann, der den Entrauchungsplan entworfen hat.
„Auf einer Baustelle sind Menschen aller sozialen Schichten beschäftigt, der Anwalt trifft auf den Polier“, sagt Robert Koall, Chefdramaturg am Schauspielhaus, „das erscheint in seiner Komplexität wie ein großes Chaos, das auch aus dem Ruder laufen kann, und folgt doch einer inneren Ordnung.“Darum inszenieren Rimini Protokoll auf der Bühne im „Central“eine exemplarische Baustelle, durch die sich die Zuschauer in Kolonnen bewegen wie Bautrupps. „Von oben sieht das aus wie ein Wimmelbild“, sagt Koall, „vielen erscheint das, was zwischen dem Entwurf und der Fertigstellung eines Gebäudes passiert wie eine Black Box, verwirrend, unkontrollierbar. Das macht diesen Schauplatz interessant für Theater, wir schauen uns die Abläufe näher an.“
Rimini Protokoll untersuchen die Baustelle an sich, sie nehmen nicht konkret Bezug zum „Kö-Bogen II“, der Erdumwälzung vor der eigenen Haustür. Dabei hat dieses Projekt eine Zeitlang grundsätzliche Fragen über das Theater aufgeworfen. Etwa, ob ein Stadttheater zwingend in die Innenstadt gehört und ob es einen eigenständigen Bau benötigt oder etwa auch auf eine Probenbühne reduziert oder in einen Kongresshallenbetrieb eingegliedert werden kann. Die Düsseldorfer Bürger hatten dazu eine klare Meinung: Sie nahmen ihr Theater in Schutz, wollen es als Schauspielhaus im Schauspielhaus, als notwendigen Ort öffentlicher Auseinandersetzung im Herzen der Stadt behalten. Die Baustelle hat das zutage gefördert. Sie hat aber auch gezeigt, dass es in der Kultur keine Selbstver- ständlichkeiten mehr gibt, dass Theater um seinen Stellenwert in der Stadt kämpfen muss.
Einen Beitrag zur Debatte an der offenen Baugrube liefert auf seine Weise auch der amerikanische StarRegisseur Robert Wilson, der mit dem romantischen Märchen „Der Sandmann“im Stammhaus des Theaters dem Baulärm trotzen wird. Seine Inszenierung wäre in einer provisorischen Spielstätte wie dem „Central“nicht möglich. Wilson nutzt nicht nur den Bewegungsapparat der Bühne im Großen Haus vollständig aus, er lenkt mit seiner anspruchsvollen Lichtregie die Blicke der Zuschauer bis ins Detail. Das verlangt nach einem geschlossenen Theaterraum, könnte in einer Halle mit freistehender Zuschauertribüne niemals jene Intensität gewinnen, die seine Arbeiten auszeichnet.
„Das Schauspielhaus ist nicht nur eine Architekturikone, es ist auch ein Ort der Konzentration und der technischen Möglichkeiten, in dem es gelingt, alternative Realitäten glaubwürdig aufzubauen“, sagt Schauspielhaus-Intendant Wilfried Schulz. In der Debatte um die Zukunft des Schauspielhauses sei es um die gesellschaftliche Notwendigkeit von Theater gegangen. Bei Robert Wilson könne man nun erleben, dass ein Theaterbau auch ästhetisch notwendig ist. Schulz glaubt, dass die Bedeutung von Theatern als öffentliche Orte in der Stadt in Zukunft sogar wachsen wird. „Es hat einen hohen Wert, wenn Menschen zwei Stunden gemeinsam in einem dunklen Raum sitzen, zuhören, sich konzentrieren und Geschichten erleben, die mit ihrem Selbstbewusstsein, ihrer Identität zu tun haben“, sagt Schulz. „Die Gesellschaft wird diesen Ort noch brauchen.“