CDU und FDP zieren sich
Nach dem Wahlsieg in NRW betonen beide Seiten ihre inhaltlichen Differenzen. Die Landes-SPD will sich nach dem Rücktritt von Hannelore Kraft spätestens bis zum Sommer personell neu aufstellen.
DÜSSELDORF Einen Tag nach der NRW-Wahl zeichnen sich für den Wahlsieger CDU schwierige Koalitionsgespräche ab. Der Generalsekretär der NRW-CDU, Bodo Löttgen, sagte gestern unserer Redaktion: „Wir werden jetzt SPD, FDP und Grünen Gespräche anbieten.“Doch FDP-Chef Christian Lindner gab sich nach der Wahl bei mehreren Gelegenheiten betont distanziert gegenüber der CDU und will erkennbar den Preis hochtreiben. Er trat dem Eindruck entgegen, die FDP sei der natürliche Juniorpartner der CDU in schwarz-gelben Bündnissen. „Selbstverständlich ist die FDP bereit, in NRW in die Verantwortung zu gehen“, sagte er. Bedingung sei aber ein Politikwechsel. Auch FDP-Fraktionsvize Joachim Stamp betonte, es gebe keinen Automatismus für eine schwarz-gelbe Koalition. Differenzen gibt es etwa bei der Kriminalitätsbekämpfung und in der Schulpolitik.
Schwarz-Gelb hätte nur eine knappe Mehrheit, rechnerisch wären auch eine große Koalition mit der SPD oder Dreierbündnisse möglich. Aber den bürgerlichen Wählern von CDU und FDP wäre wohl kaum zu vermitteln, wenn sie sich einander verweigerten. Vieles spricht daher dafür, dass der künftige Koalitionspartner der CDU zum dritten Mal im Land FDP heißt.
Weiteren Konfliktstoff birgt die Ressortverteilung. „Mehr als drei Ministerien werden wir der FDP nicht geben“, sagte ein CDU-Vorstandsmitglied. Zudem betonte auch NRW-CDU-Chef Armin Laschet Unterschiede zur FDP beim Thema Innere Sicherheit. Er kritisierte, die FDP sei gegen verdachtsunabhängige Personenkontrollen bei der Schleierfahndung, gegen die Vorratsdatenspeicherung und auch bei der Videoüberwachung sehr skeptisch. Mehr Sicherheit sei aber ein Kernthema der CDU im Wahlkampf gewesen. Der Präsident der Landesvereinigung der NRW-Unternehmensverbände, Arndt Kirchhoff, forderte eine schnelle Regierungsbildung. Die künftigen Regierungsparteien dürften jetzt nicht eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners suchen, sondern müssten in großen Linien denken.
Die NRW-SPD sucht nach dem Rücktritt von Hannelore Kraft eine neue Führungsspitze. Gestern Abend traf sich der Parteivorstand zu ersten Gesprächen. Er gehe davon aus, dass sich die Partei bis zum Sommer neu aufstellen werde, sagte SPD-Fraktionschef Norbert Römer. In Berlin nahm Kraft die Schuld für die Niederlage erneut auf sich: „Die Verantwortung für das, was in den letzten Wochen und Monaten in NRW geschehen ist, die trage ich – und die trage ich auch mit erhobenem Haupt.“In der Berliner SPDZentrale herrschte Fassungslosigkeit. Kraft wurde dennoch mit warmem Applaus empfangen. Die Wahlschlappe setzt SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz zunehmend unter Druck. „Manchmal kriegt ein Boxer einen Leberhaken, aber das heißt noch nicht, dass die nächste Runde schon an den Gegner geht“, sagte er und kündigte konkrete Vorschläge an.
Die Kanzlerin betonte, Schwerpunkte des CDU-Wahlkampfes würden Innovation, innere, äußere und soziale Sicherheit sowie der Zusammenhalt der Gesellschaft. „Last not least: Europa“, fügte sie hinzu. CDU-Vizechefin Julia Klöckner forderte die FDP auf, in NRW ein Bündnis mit der CDU einzugehen. „Die FDP in NRW muss nun zeigen, ob sie es ernst gemeint hat, als sie einen Politikwechsel für NRW forderte“, sagte sie unserer Redaktion.
DÜSSELDORF Angesichts der gemeinsamen Regierungstraditionen im Bund und im Land überraschte die kalte Schulter, die FDP-Chef Christian Lindner der CDU am Wahlabend zeigte. „Ich bin nicht der Wunschkoalitionspartner der CDU, und die CDU ist nicht meiner“, sagte Lindner. Das klang nicht nur schroff. Das war auch so gemeint.
CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet und Lindner duzen sich. Ihre Wahlprogramme weisen unter allen Parteien die größten Übereinstimmungen auf. Mit fast stereotyper Vorhersehbarkeit legten Laschet und Lindner sieben Jahre lang gemeinsam ihre Finger in die Wunden der rot-grünen Landesregierung. Was sonst als eine gemeinsame Regierung sollten die beiden sich wünschen?
Um zu verstehen, warum der FDPChef mit der NRW-CDU fremdelt, muss man sich die jüngere Geschichte der FDP vor Augen führen. Weil sie von 2009 bis 2013 in der schwarz-gelben Koalition im Bund kaum ein Wahlversprechen umsetzte und sich mit unglücklichem Personal das Image einer rücksichtslosen und machtversessenen „Besserverdiener-Partei“einhandelte, flog sie danach aus dem Bundestag und aus mehreren Landtagen. Ihre Glaubwürdigkeitskrise führte die Liberalen an den Rand des Ruins.
Lindner, der Ende 2013 den Vorsitz übernahm, sanierte die Partei radikal. „Wir sagen, was wir tun, und wir tun, was wir sagen“, sagte er – und hat sich wie kaum ein anderer Spitzenpolitiker daran gehalten. Offensiv kämpfte er im gesamten Wahlkampf gegen den Verdacht, die FDP würde im Zweifel wichtige politische Ziele preisgeben, wenn sie im Gegenzug wieder Pöstchen verteilen könne. „Wir wollen keine Zweitstimmen von der CDU“war so ein Spruch, mit dem Lindner sich gegen derartige Vorurteile wehrte: „Wer eine andere Partei besser findet als die FDP, soll sie halt mit beiden Stimmen wählen.“Die große Gefahr, die Lindner sieht: Lässt er sich allzu bereitwillig auf ein Bündnis mit der CDU in NRW ein, könnte sein Image als unbeirrbarer ÜberzeugungsPolitiker darunter leiden. Denn jede Koalition verlangt Kompromisse. Lindners Gegner werden geradezu darauf lauern, an welcher Stelle die FDP sich auf die CDU zu- und von ihren eigenen Positionen wegbewegt – und das wenige Monate vor der Bundestagswahl.
Ein erster kleiner Fehler ist Lindner nun aber doch unterlaufen. Im Wahlkampf hatte er stets verkündet, sich nach dem NRW-Wahltag auf den Weg Richtung Bundestag zu machen. Nun gefragt, ob er denn sein Abgeordneten- mandat in Düsseldorf vor der Bundestagswahl aufgebe, erklärte er, dass er dies „im Tausch“machen werde. Sprich: Erst muss die FDP den Sprung in den Bundestag geschafft haben, bevor er die Brücken in NRW abbricht. Schnell fügte Linder aber hinzu, er bleibe bei seiner Überzeugung, lieber „einflussloser Bundestagsabgeordneter als stellvertretender Ministerpräsident in NRW“sein zu wollen. Darauf sollten sich die Menschen verlassen können. Gestern hat ihn seine Landtagsfraktion zunächst mal zum Vorsitzenden gewählt.
Das taktische Sträuben in NRW erklärt aber nicht, warum die FDP für so viele Wähler überhaupt schon wieder als Regierungspartei infrage kommt. Das erstaunliche Comeback der Liberalen erklärt der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Stefan Marschall so: „Der Erfolg ist vor allem personengebunden. Mehr noch als mit seiner Sachexpertise überzeugte Lindner die Wähler mit seinem Charisma.“Der junge FDP-Vorsitzende ist ein brillanter Redner. Er kann begründen, zuspitzen, wohldosiert provozieren. Nicht zuletzt sein Werbespot, in dem sich Lindner in lässiger Schwarzweiß-Ästhetik inszenierte, erregte Aufsehen. Knapp eineinhalb Minuten lang zeigte sich Lindner bei alltäglichen Szenen, etwa bei der Rasur seines Drei-Tage-Barts oder im Unterhemd am Smartphone. „Er stellt sich gerne als junger, noch unverbrauchter Politiker dar“, sagt Marschall. Mit dieser Taktik avancierte Lindner schnell zu einem der beliebtesten Politiker in NRW und trug entscheidend zur Verjüngung der Partei in den Köpfen der Wähler bei. Inhaltlich hingegen hat sich die FDP laut Marschall nicht gravierend gewandelt: „Die einzige programmatische Neuerung war, dass sich die FDP bei der Flüchtlingspolitik deutlich gegen Merkels Kurs positioniert hat.“Mit Forderungen nach einem geordneten Austritt für Euro-Mitgliedstaaten, der Ablehnung von EU-Beitrittsgesprächen mit der Türkei und nach einem eigenen Übergangsstatus für Kriegsflüchtlinge sprach die FDP auch Wähler an, die von der Politik der Kanzlerin enttäuscht sind, aber nicht die rechtspopulistische AfD wählen wollen. „Die FDP hat den Vorteil, dass sie sich als Oppositionspartei darstellen kann“, sagt Marschall. Regierungsparteien sind anfälliger für Kritik. Offenbar weiß Lindner diesen Wettbewerbsvorteil zu schätzen.