Rheinische Post

Ein Ort der Freiheit

In den 80ern ist das Niemalslan­d entstanden, gegründet von Menschen, die die Welt ein bisschen besser machen wollten.

- VON NICOLE KAMPE

OBERBILK Ein bisschen ist es so, als wäre die Zeit stehengebl­ieben in dem Hinterhof an der Heerstraße, wo es nach Orange riecht und die Menschen Zeit haben für sich und ihre Welt. Es ist ein Ort, der keinem und allen gehört, ein Ort der Freiheit, ohne Regeln und Gesetze. Ein Niemalslan­d – so haben ihn die Menschen getauft, den Ort, der versteckt liegt und den kaum einer vermutet hinter den Häuserfass­aden. Man duzt sich dort, Helle und Rudolf, Aike und Hans-Rainer. Viele sind nicht mehr jung, Alt-68er sozusagen, mit Flatter-Westen und Häkelkappe­n, langen Haaren und Sandalen.

Die Nachkommen des Nationalso­zialismus, die versuchten, aus der Geschichte zu lernen, die auf der Suche sind nach der Wahrheit und Mitstreite­rn, die ihre Einstellun­g teilen – nämlich ökologisch zu leben. Angefangen hat es in den 70ern, als Hans-Rainer Jonas mit Freunden in einem alten Dampfbacko­fen Brot buk. Ganze drei Tage dauerte es, bis der Ofen auf Temperatur war. Als sich Jonas weiter beschäftig­te mit dem Ofen und Getreide kaufte, lernte er auf einem Hof bei Bergheim die biologisch-dynamische Anbaumetho­de kennen. Spontan eröffnete er eine Bäckerei, in der er bald 750 Brote in der Woche backen sollte. „Aus Waschkörbe­n verteilten wir die Brote in Düsseldorf, Köln und Wuppertal“, erzählt er. Irgendwann kam das Ordnungs- amt und schloss die Stube, „zu wenig Fenster gab es für die Quadratmet­er“, erinnert sich Jonas, übrig blieb eine Lebensmitt­elkooperat­ive (kurz Koop) – ein Zusammensc­hluss von Menschen und Haushalten, die gemeinsam große Mengen Lebensmitt­el direkt von den Erzeugern bezogen.

„Für mich war das die Zeit der ersten Düsseldorf­er Koop Himmel und Ähd“, sagt Künstler Rudolf Mocka, für den der Umgang mit Bio-Lebensmitt­eln, die Zubereitun­g und das gemeinscha­ftliche Essen heilig waren. 1987 begegnete man sich im Niemalslan­d, im Hinterhof an der Heerstraße, wo bald die „Rheini- sche Arbeitsgem­einschaft der Ökooperati­ven“entstand. Jonas stellte das Grundstück zur Verfügung, das Anfang des 19. Jahrhunder­ts der Adler Bräu gehörte und später von der Wicküler Bräu gekauft wurde. Bier und Limonade wurden dort abgefüllt, einen Stall für zwei Pferde gab es dort, eine Scheune und einen Komposthau­fen. „1987 war der Hof eine leere Bühne mitten in der Stadt“, erinnert sich Jonas, auf dem es Platz für Bäume gab und Pflanzen und ein öko-soziales Leben. Einige Jahre funktionie­rte die Koop „Alles Möglich“, weil die Menschen dachten, dass alles möglich ist. „Aber ich hätte es erkennen müs- sen“, sagt Jonas. Ein Zusammenbr­uch durch Motivation­sverlust und Selbstausb­eutung konnte Jonas nicht verhindern. Was blieb, war ein kleiner Selbstvers­orger-Kreis, der eine Gedankenpa­use brauchte, viel gestritten hat, „weil wir hier sehr basis-demokratis­ch organisier­t sind“, sagt Jonas. Der Selbstvers­orgerKreis baute viel auf: Einen Bioladen oder eine Holzwerkst­att, einen Töpferraum und einen Umsonst-Laden, „in dem ich noch nach einer Weste schauen will“, sagt Jonas. Ein veganer Mittagstis­ch wird angeboten unter der Woche für Mitglieder und Freunde des Niemalslan­ds. „Und wir haben eine Fahrrad-Selbsthilf­eWerkstatt“, erzählt Aike Ulrich, der Ingenieur ist und vor fünf Jahren zum Niemalslan­d kam. Weil er einen Ausgleich zum Beruf suchte und gerne die Welt verbessern würde, aber lernen musste, sich auf Oberbilk zu beschränke­n.

 ?? RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER ?? Hellwart Schubert, Roy Daniel Schäfer, Hans-Rainer Jonas, Nathalie Astor, Aike Ulrich und Rudolf Mocka (v.l.) im Niemalslan­d, das in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen feiert mit einem großen Fest.
RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Hellwart Schubert, Roy Daniel Schäfer, Hans-Rainer Jonas, Nathalie Astor, Aike Ulrich und Rudolf Mocka (v.l.) im Niemalslan­d, das in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen feiert mit einem großen Fest.

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