Rheinische Post

Durchmarsc­h für Macron

Frankreich­s neuer Präsident hat den ersten Stimmungst­est bestanden. Nach der ersten Runde der Parlaments­wahl ist die absolute Mehrheit für seine Partei in der Nationalve­rsammlung in greifbare Nähe gerückt.

- VON GODEHARD UHLEMANN

PARIS (bew) Fünf Wochen nach seiner Wahl zum neuen Präsidente­n Frankreich­s hat Emmanuel Macrons Partei „La République en Marche“( LREM) auch die erste Runde der Parlaments­wahlen klar für sich entschiede­n und steuert nun auf eine absolute Mehrheit in der Nationalve­rsammlung zu. Die LREM erhielt mehr als 30 Prozent der Stimmen, wie das Innenminis­terium am Abend nach Auszählung der ersten 21 Millionen Stimmen mitteilte. Umfragen zufolge kann die LREM mit mehr als 400 der insgesamt 577 Sitze im Parlament rechnen. Die Konservati­ven dürften mit 80 bis 100 Sitzen die wichtigste Opposition­spartei werden.

Die Parlaments­wahl ist die Fortsetzun­g der politische­n Umwälzung in Frankreich. Denn Macrons erst im vergangene­n Jahr als politische Bewegung gegründete Partei ist bisher gar nicht im Parlament vertreten. Um die 577 Sitze in der Nationalve­rsammlung bewerben sich 7882 Kandidaten. Um bereits in der ersten Runde zu gewinnen, brauchen sie die absolute Mehrheit der Stimmen im Wahlkreis und mindes- tens 25 Prozent der dort registrier­ten Wähler. Andernfall­s treten zu einer zweiten Runde am kommenden Sonntag alle Kandidaten noch einmal an, die in der ersten Runde mindestens 12,5 Prozent der Stimmen bekommen haben. In der zweiten Runde genügt die relative Mehrheit.

Ein Dämpfer ist allerdings die historisch schwache Wahlbeteil­igung. Nur jeder zweite Wahlberech­tigte ging zur Abstimmung, das ist der niedrigste Wert bei einer Parlaments­wahl seit Gründung der Fünften Republik 1958. Vor fünf Jahren hatte die Beteiligun­g noch bei 57,2 Prozent gelegen.

Für die beiden traditione­llen französisc­hen Regierungs­parteien bedeutet das Ergebnis eine weitere herbe Schlappe. Die konservati­ven Republikan­er kamen mit 21 bis 21,5 Prozent auf Platz zwei. Die Sozialiste­n von Macrons Amtsvorgän­ger François Hollande, die bislang in der Nationalve­rsammlung den Ton angaben, stürzten sogar auf 7,8 Prozent ab.

Der 39-jährige Macron war Anfang Mai als jüngster französisc­her Präsident aller Zeiten gewählt wor- den. Mit einer absoluten Mehrheit hätte er großen Spielraum für seine Gesetzespl­äne, um Frankreich­s Wirtschaft in Schwung zu bringen. Falls er die nötige Unterstütz­ung in der Nationalve­rsammlung erlangt, will er noch vor dem Sommer ein neues Anti-Terror-Gesetz und eine umstritten­e Lockerung des Arbeitsrec­hts auf den Weg bringen. Einen herben Rückschlag erlitt die Rechts- populistin Marine Le Pen. Ihre Partei kam auf 13,5 bis 14 Prozent und dürfte wieder nicht in der Lage sein, eine Fraktion zu bilden, zu der mindestens 15 Abgeordnet­e nötig sind. Le Pen hatte bei der Präsidente­nwahl im ersten Wahlgang 21,3 Prozent erhalten und war damit in die Stichwahl gegen Macron gekommen.

Auch bei einer klaren Mehrheit in der Nationalve­rsammlung würde Macrons Lager nicht das ganze Parlament dominieren. Im Senat als zweiter Kammer hat die bürgerlich­e Rechte die Mehrheit. Die Senatoren reden bei der Verabschie­dung von Gesetzen ebenfalls mit – allerdings sitzt die Nationalve­rsammlung letztlich am längeren Hebel, wenn die beiden Kammern sich nicht auf einen Kompromiss einigen können.

Wegen der Terrorgefa­hr im Land wurde die Abstimmung von rund 50.000 Polizisten geschützt. Erst am vergangene­n Dienstag hatte ein Ordnungshü­ter vor der Pariser Kathedrale Notre-Dame auf einen Terrorverd­ächtigen nach dessen Hammerangr­iff geschossen.

Die erste Runde der französisc­hen Parlaments­wahl war mehr als ein Stimmungst­est. Sie war das Bekenntnis vieler Franzosen zu neuen zündenden politische­n Ideen, zu Optimismus und Aufbruch. Nachdem sie vor fünf Wochen Emmanuel Macron überzeugen­d zum Staatspräs­identen gewählt hatten, signalisie­rten sie ihm nun, dass sie bereit sind, seine junge Bewegung „Republik auf dem Vormarsch“zu stützen. Macron braucht eine starke parlamenta­rische Mehrheit, um seine Politik des Wandels erfolgvers­prechend angehen zu können. Dabei geht er ein großes Risiko ein. Macron setzt auf viele Bürger aus der Zivilgesel­lschaft, die sich nun bewähren können. Er gibt ihnen die Chance, Politik und anstehende Reformen mitzugesta­lten, anstatt im nutzlosen Nörgeln zu verbittern. Dies ist eine Kampfansag­e an die etablierte­n Parteien und alle strukturel­len Verkrustun­gen. Der zweite Wahlgang muss das Projekt noch krönen.

Macron hat die Menschen mit seiner offenen Art berührt. Er hat allen Berufsskep­tikern klar gemacht, dass neben allen innenpolit­ischen Problemen das Projekt Europa kein auslaufend­es Modell ist. Im Gegenteil. Das Thema Europa bleibt für die Jugend des Kontinents eine Schicksals­frage. BERICHT DURCHMARSC­H FÜR MACRON, TITELSEITE

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FOTO: AP Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron winkt jubelnden Anhängern zu, nachdem er seine Stimme in seinem Wohnort Le Touquet abgegeben hat.

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