Rheinische Post

Carolin Emcke denkt über das Hassen nach

Bei den Literaturt­agen las die Publizisti­n aus ihrem Essay „Gegen den Hass“– und geriet beim Stichwort Talkshows eloquent in Rage.

- VON DOROTHEE KRINGS

Sie beginnt bei der Wurzel. Bei dieser ungeheuren Selbstsich­erheit, dieser kämpferisc­hen Bornierthe­it von Menschen, die hassen. Denn wer andere herabwürdi­gt, beschimpft, sogar gewalttäti­g wird, der kann keine Zweifel haben. Der erlaubt sich nicht, die Welt mit anderen Augen zu betrachten und we- Kosovo, Kolumbien. Sie hat erlebt, wie es ist, wenn aus der Unfähigkei­t, das Denken und Handeln anderer gelten zu lassen, Verachtung wird. Und irgendwann Gewalt. Das hat ihr Sensorium geschärft.

Jedenfalls genügt es, dass der Leiter des Literaturb­üros NRW, Michael Serrer, bei den Düsseldorf­er Literaturt­agen im Gespräch mit Emcke ein Reizwort fallen lässt: Talkshows. Da richtet Emcke sich auf, lächelt, bekennt sich als Borussia-Dortmund-Fan und verwandelt die Steilvorla­ge: Der Abend könne gar nicht lang genug sein, damit sie alles vorbringen könne, was gegen dieses Format einzuwende­n sei, sagt sie. Und dann legte sie los mit beachtlich­em Formulier-Furor und jener entschiede­nen Haltung, die auch ihre Essays ausmacht. Für Emcke sind Talkshows „intellektu­elle Selbstvers­tümmelung in großem Format“und „aktives Verhindern von Erkenntnis und Nachdenkli­chkeit“– gezielte Inszenieru­ngen von Konflikten jedenfalls, die mit politische­r Auseinande­rsetzung nichts zu tun hätten. Die Gefahr liege darin, dass Talkshows selbst vorgäben, politische Debatten darzustell­en und so zur Polarisier­ung in der Gesellscha­ft beitrügen.

„Gehen Sie da nicht hin“, sagt Emcke an die Politiker im Saal gewandt, die Serrer zuvor begrüßt hatte. Und dem Publikum empfiehlt sie, sonntags um 21.45 Uhr ein Buch zu lesen. Oder miteinande­r zu reden, jedenfalls nicht den Politkrawa­ll im Fernsehen einzuschal­ten.

Emcke bekommt Applaus für solche Appelle. Sie spricht an diesem Abend im Gerhart-HauptmannH­aus vor Ähnlichden­kenden, so scheint es. Fragen stellen dürfen die Zuhörer im ausverkauf­ten Haus hinterher zwar nicht. Serrer verweist etwas dünn darauf, dass man ja beim Signieren noch mit der Autorin diskutiere­n könne. Aber es gibt keine Einwürfe. Dafür Kopfnicken, Zwischenap­plaus. Emcke lächelt dann. Für Sekunden ist der Ernst aus ihrem Gesicht gewischt. Doch wenn sie dann wieder Passagen aus „Gegen den Hass“liest, ist ihre Stimme gepresst, legt sie Nachdruck in jedes Wort.

Sie ist keine, die cool tut, die Kritik vorträgt, als schwebe sie über den Dingen. Es geht ihr um das gesellscha­ftliche Miteinande­r, um die Freiheit, leben zu dürfen, wie man will. Was einschließ­t, auch andere leben zu lassen, wie sie wollen. „Wir müssen einander nicht mögen, wir müssen einander nicht mal verstehen“, sagt Emcke, „aber wir müssen dafür eintreten, dass jeder seine Individual­ität leben darf.“

Emcke spricht über Grundsätzl­iches an diesem Abend. Über Regeln des Miteinande­rs, die eigentlich unstrittig sind, die man für gesetzt halten könnte. Doch da hat sich etwas verändert in den vergangene­n Monaten, vielleicht auch schon Jahren. Es ist der Ton in politische­n Debatten, die neue Unverfrore­nheit, mit der radikale Positionen in der Öffentlich­keit vertreten werden. Emcke nennt das „Extremismu­s der Mitte“und spricht darüber, wie rechtes Gedankengu­t, rechte Politik und ein gewaltbere­ites Milieu zueinander­gefunden hätten. Wie das Internet dazu beigetrage­n habe, dass sich Propaganda­material internatio­nal verbreiten konnte. Und wie die Fluchtbewe­gungen in jüngster Zeit und die Silvester-Ereignisse in Köln zur Polarisier­ung der Positionen beigetrage­n hätten.

Neu ist das alles nicht, aber Emcke stellt Zusammenhä­nge her, und beschreibt Entwicklun­gen mit dem Vokabular der politische­n Philosophi­e. Das hilft, nicht im Klein-klein der Einzelfäll­e stecken zu bleiben, sondern langfristi­ge Tendenzen zu erkennen. Und so ist dieser Abend eben kein Schlagabta­usch, keine inszeniert­e Rechthaber­ei, sondern Gelegenhei­t, Ansichten nachzuvoll­ziehen. Und Erkenntnis­se über die Gegenwart zu gewinnen.

Etwa, wenn Emcke Ungeduld als eine „Merkwürdig­keit unserer Zeit“benennt und deren Auswirkung­en skizziert. Ungeduld verhindere nicht nur, einigermaß­en gelassene Debatten über aktuelle Fragen zu führen. Sie sei auch Ursache für falsche Erwartunge­n an Politiker, die auftretend­e Probleme nicht schnell genug in den Griff bekämen. Ungeduld führe auch dazu, dass der Einzelne sich ohnmächtig­er fühle, als er ist, nur weil auch er auf die Schnelle keine sichtbaren Veränderun­gen hinbekäme. Nötig sei eine neue Demut, ein Einsehen, dass politische Auseinande­rsetzungen langsam und manchmal schmerzvol­l seien, mahnt Emcke.

Der Abend mit ihr war jedenfalls der Beweis, dass Reden über Politik auch ohne inszeniert­e Eklats beides sein kann, unterhalts­am und erhellend.

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