Rheinische Post

Wie viele kannst du lieben, Liebster?

Zu dritt, zu viert oder zu fünft – in einer polyamoren Beziehung ist das erlaubt; Treue wird anders definiert. Wie das zusammenpa­sst, hat sich unsere Autorin beim Besuch des Poly-Stammtisch­es in Düsseldorf erklären lassen.

- VON SUSANNE HAMANN hat Beziehunge­n zu zwei Männern

DÜSSELDORF Marie* ist 30, Studentin und teilt sich eine Wohnung mit ihrem Freund Markus* in einer Stadt am Niederrhei­n. Ihr Herz allerdings teilt sie auch noch mit Thorsten*, der wiederum in Bayern lebt und sich ebenfalls eine Wohnung mit seiner anderen Freundin teilt. „Das ging damals fast von alleine“, sagt sie. „Mit Thorsten war ich einfach schon länger zusammen und noch viel länger befreundet. Als das dann mit Markus losging, habe ich ihm gesagt, es geht nur mit Thorsten oder gar nicht.“Drei Tage musste Markus grübeln, dann hat er eingewilli­gt, ohne zu murren. Die Dreiecksbe­ziehung hält nun schon seit fünf Jahren. „Und uns geht es das ausführlic­h. Manchmal setzt sich dafür sogar die neue Flamme mit an den Tisch. Für die meisten Monos, wie monogam Lebende hier genannt werden, ein unvorstell­bares Konzept. Aber Polys sind sich sicher: Das schafft eine Vertrauens­basis, die Trennung vermeidet.

Trotzdem, wer den Poly-Pärchen an dem Abend länger zuhört, hat den Eindruck, Multi-Liebe ist zumindest für einige wie ein Pilzgerich­t, das man probiert, weil es die Lieblingss­peise vom Schatz ist – obwohl man die labbrigen Dinger eigentlich nicht mag.

So war es bei Jenny* (21) und Klaus* (23). Drei Monate lang mussten die beiden hart arbeiten, um sich nicht zu trennen. „Als mir Jenny sagte, dass sie eine offene Beziehung führen will, ist für mich eine Welt zusammenge­brochen“, sagt Klaus. Will sie mich abschaffen? Bin ich ihr nicht genug? Ist sie unzufriede­n mit unserer Beziehung? Will sie fremdgehen? Fragen, die sich jeder am Tisch gestellt hat, als ihm die Poly-Liebe vorgeschla­gen wurde. Klaus brauchte für seine Entscheidu­ng zwei Monate, viel Recherche, viel Lektüre – und das Ultimatum, das auch Teil jeder Poly-Geschichte zu sein scheint: entweder diese Art der Liebe oder gar keine.

Klaus gab nach. „Jede Beziehung ist anders – auch wenn man sie parallel führt. So muss man das sehen, sonst kann man das nicht leben.“Kernbezieh­ung nennen sie ihre Partnersch­aft. Jede andere Liebelei ist zweitrangi­g. Es gibt auch noch andere Poly-Konzepte am Tisch. Mancher bezeichnet sich als Beziehungs­anarchist und schafft somit jedwede Beziehungs­bezeichnun­g und -hierarchie ab. Andere sagen, für sie sei jede Beziehung gleichwert­ig, also auch gleich wichtig. Es kann aber auch passieren, dass nur einer poly wird und der andere weiterhin monogam bleibt.

Trotz all dieser geistigen Stützräder ist Eifersucht auch bei Polys ein Thema. „Es gibt gute Tage, an denen ich sage, mach, was du willst. Und schlechte Tage, an denen ich es nicht ab kann. Aber man lernt, das zu kontrollie­ren“, sagt Klaus.

Er genießt, wie sehr sich Jenny nun auf ihn einlässt. „Ich hätte vorher zum Beispiel nie darüber nachgedach­t, mit ihm zusammenzu­ziehen, weil ich mich in einer MonoBezieh­ung ohnehin wie in einen Käfig gesperrt fühlte“, sagt Jenny. Es ist die Freiheit im Kopf, die ihre Kernbezieh­ung wieder sexy gemacht hat. Treu sein können, aber nicht müssen. Findet zumindest Jenny.

Diese Art der Liebe wird als Selbstausd­ruck empfunden. Bleibt sie verwehrt, fühlt man sich unglücklic­h, unausgegli­chen, missversta­nden. „Deswegen sind wir auch der Schwulen-, Lesben- und Transgende­r-Szene verbunden. Alles, was sich gut und richtig anfühlt, ist erlaubt und akzeptiert – so lange niemand verletzt wird“, sagt Prohn.

Aber wie jede Romantik hat auch diese ihre Grenzen. „Denn Polysein bietet zwar viele Freiheiten, aber es ist auch unheimlich anstrengen­d“, sagt Marie. „Natürlich würde ich gerne jeder Zeit alle lieben, auf die ich Lust habe, einfach so, ohne Probleme. Aber die menschlich­e Natur macht da nicht mit.“Die absolute Hingabe, nach der man sich in einer Beziehung doch sehnt, fehle dann. Grenzenlos­es Vertrauen wäre ebenfalls schwierig. Man müsse viele Gespräche führen. „Und es ist organisato­risch ein ziemlicher Aufwand.“

Was ist denn mit dem Thema Kinderkrie­gen? Nein, sagt Steffen Prohn, das sei ihm nicht wichtig. Ein Ehepaar, das sich auf einem PolyStammt­isch kennen und lieben gelernt hat, versteht gar nicht, wieso Kinder kriegen bei Polys anders laufen soll als bei Monos. Marie allerdings hat auch auf diese Frage eine sehr spezielle Antwort: Sie will schon Kinder, nur ihr Freund in NRW nicht. Deswegen würde sie dafür gerne mit ihm nach Bayern umziehen und dort mit Thorsten Kinder kriegen. Dessen Freundin will nämlich auch keine Kinder. „Und so hätte jeder, was er will, und am Ende gäbe es eine große Patchwork-Familie, in der sich alle verstehen“, sagt Marie. Jenny (21)

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