Wie viele kannst du lieben, Liebster?
Zu dritt, zu viert oder zu fünft – in einer polyamoren Beziehung ist das erlaubt; Treue wird anders definiert. Wie das zusammenpasst, hat sich unsere Autorin beim Besuch des Poly-Stammtisches in Düsseldorf erklären lassen.
DÜSSELDORF Marie* ist 30, Studentin und teilt sich eine Wohnung mit ihrem Freund Markus* in einer Stadt am Niederrhein. Ihr Herz allerdings teilt sie auch noch mit Thorsten*, der wiederum in Bayern lebt und sich ebenfalls eine Wohnung mit seiner anderen Freundin teilt. „Das ging damals fast von alleine“, sagt sie. „Mit Thorsten war ich einfach schon länger zusammen und noch viel länger befreundet. Als das dann mit Markus losging, habe ich ihm gesagt, es geht nur mit Thorsten oder gar nicht.“Drei Tage musste Markus grübeln, dann hat er eingewilligt, ohne zu murren. Die Dreiecksbeziehung hält nun schon seit fünf Jahren. „Und uns geht es das ausführlich. Manchmal setzt sich dafür sogar die neue Flamme mit an den Tisch. Für die meisten Monos, wie monogam Lebende hier genannt werden, ein unvorstellbares Konzept. Aber Polys sind sich sicher: Das schafft eine Vertrauensbasis, die Trennung vermeidet.
Trotzdem, wer den Poly-Pärchen an dem Abend länger zuhört, hat den Eindruck, Multi-Liebe ist zumindest für einige wie ein Pilzgericht, das man probiert, weil es die Lieblingsspeise vom Schatz ist – obwohl man die labbrigen Dinger eigentlich nicht mag.
So war es bei Jenny* (21) und Klaus* (23). Drei Monate lang mussten die beiden hart arbeiten, um sich nicht zu trennen. „Als mir Jenny sagte, dass sie eine offene Beziehung führen will, ist für mich eine Welt zusammengebrochen“, sagt Klaus. Will sie mich abschaffen? Bin ich ihr nicht genug? Ist sie unzufrieden mit unserer Beziehung? Will sie fremdgehen? Fragen, die sich jeder am Tisch gestellt hat, als ihm die Poly-Liebe vorgeschlagen wurde. Klaus brauchte für seine Entscheidung zwei Monate, viel Recherche, viel Lektüre – und das Ultimatum, das auch Teil jeder Poly-Geschichte zu sein scheint: entweder diese Art der Liebe oder gar keine.
Klaus gab nach. „Jede Beziehung ist anders – auch wenn man sie parallel führt. So muss man das sehen, sonst kann man das nicht leben.“Kernbeziehung nennen sie ihre Partnerschaft. Jede andere Liebelei ist zweitrangig. Es gibt auch noch andere Poly-Konzepte am Tisch. Mancher bezeichnet sich als Beziehungsanarchist und schafft somit jedwede Beziehungsbezeichnung und -hierarchie ab. Andere sagen, für sie sei jede Beziehung gleichwertig, also auch gleich wichtig. Es kann aber auch passieren, dass nur einer poly wird und der andere weiterhin monogam bleibt.
Trotz all dieser geistigen Stützräder ist Eifersucht auch bei Polys ein Thema. „Es gibt gute Tage, an denen ich sage, mach, was du willst. Und schlechte Tage, an denen ich es nicht ab kann. Aber man lernt, das zu kontrollieren“, sagt Klaus.
Er genießt, wie sehr sich Jenny nun auf ihn einlässt. „Ich hätte vorher zum Beispiel nie darüber nachgedacht, mit ihm zusammenzuziehen, weil ich mich in einer MonoBeziehung ohnehin wie in einen Käfig gesperrt fühlte“, sagt Jenny. Es ist die Freiheit im Kopf, die ihre Kernbeziehung wieder sexy gemacht hat. Treu sein können, aber nicht müssen. Findet zumindest Jenny.
Diese Art der Liebe wird als Selbstausdruck empfunden. Bleibt sie verwehrt, fühlt man sich unglücklich, unausgeglichen, missverstanden. „Deswegen sind wir auch der Schwulen-, Lesben- und Transgender-Szene verbunden. Alles, was sich gut und richtig anfühlt, ist erlaubt und akzeptiert – so lange niemand verletzt wird“, sagt Prohn.
Aber wie jede Romantik hat auch diese ihre Grenzen. „Denn Polysein bietet zwar viele Freiheiten, aber es ist auch unheimlich anstrengend“, sagt Marie. „Natürlich würde ich gerne jeder Zeit alle lieben, auf die ich Lust habe, einfach so, ohne Probleme. Aber die menschliche Natur macht da nicht mit.“Die absolute Hingabe, nach der man sich in einer Beziehung doch sehnt, fehle dann. Grenzenloses Vertrauen wäre ebenfalls schwierig. Man müsse viele Gespräche führen. „Und es ist organisatorisch ein ziemlicher Aufwand.“
Was ist denn mit dem Thema Kinderkriegen? Nein, sagt Steffen Prohn, das sei ihm nicht wichtig. Ein Ehepaar, das sich auf einem PolyStammtisch kennen und lieben gelernt hat, versteht gar nicht, wieso Kinder kriegen bei Polys anders laufen soll als bei Monos. Marie allerdings hat auch auf diese Frage eine sehr spezielle Antwort: Sie will schon Kinder, nur ihr Freund in NRW nicht. Deswegen würde sie dafür gerne mit ihm nach Bayern umziehen und dort mit Thorsten Kinder kriegen. Dessen Freundin will nämlich auch keine Kinder. „Und so hätte jeder, was er will, und am Ende gäbe es eine große Patchwork-Familie, in der sich alle verstehen“, sagt Marie. Jenny (21)