Beach Boys knipsen die Sonne in der Mehrzweckhalle an
Unwirklich lang erscheint die Zeitspanne, die das Jahr 2017 und das Jahr 1961, das Gründungsjahr der Beach Boys, verbindet. Als die acht Musiker langsam auf die Bühne gehen, die Scheinwerfer aufleuchten und zwischen den vielen jüngeren, unbekannten Gesichtern plötzlich nur ein Gründungsmitglied steht, wird sie fassbar. 76 Jahre alt ist Mike Love, der Basssänger, und er wirkt gelassen, als würde er in seinem Wohnzimmer auftreten. 4000 Menschen sitzen vor ihm, später werden sie tanzen, um Autogramme bitten.
„One Night All The Hits“steht auf den Eintrittskarten, von denen es noch viele zu kaufen gab. Zweieinhalb Stunden mit kurzer Pause lieferen die Beach Boys ab: „Surfin USA“(1963), „Wouldn’t It Be Nice“(1966) und „Do It Again“(1968) klingen noch immer so, als wären Love, der 74-jährige Keyboarder Bruce Johnston und Hilfsgitarrist Jeffrey Foskett (61) tatsächlich noch Jungs, die von einem Tag am Strand singen. Anteil daran hat das Playback, aber auch die großartige Stimme Fosketts, der die Falsetttöne des nicht anwesenden Bandkopfs Brian Wilson ersetzt. Hinter den Musikern laufen Filme, auf denen man die Band in den 60er und 70er Jahren herumalbern sieht. Bilder, die in Erinnerung rufen, aus welcher Zeit die Musik und ihre Erfinder stammen. Unwillkürlich denkt man an die Tradition, sich Jugendbilder geliebter, aber verstorbener Menschen in die Wohnung zu stellen.
Nicht wenig melancholisch stimmt auch das triste Bühnenbild: brusthohe Palmen, in Pflanztöpfen am hinteren Bühnenrand aufgestellt und von unten angestrahlt. Die Bühne selbst ist fantasielos ausgeleuchtet, regelmäßig blenden die Scheinwerfer auch das Publikum, vor allem bei „Dance, Dance, Dance” sollen sie animieren. Viele schunkeln wenigstens etwas in ihren Sitzen, einige erheben sich für einen verhaltenen hüftbetonten Rock’n’Roll-Tanz. Die Zurückhaltung verfliegt in der zweiten Hälfte des Konzerts – Love kündigt sie auf Deutsch an und begründet sie humorvoll mit seinem Alter und dem seiner Kollegen –, wo der Mittelgang voller Fans ist, die tanzen oder sich von Love und Johnston Autogramme auf vergilbte Schallplattenhüllen schreiben lassen.
Bald löst sich auch der hartnäckige Eindruck einer Hotel-Animati- onsgruppe, für den die TageslichtStimmung der Beleuchtung, vor allem aber die starren Musiker und die wenigen, aber bemühten Tanzbewegungen und Drehungen Loves zu Beginn gesorgt haben. Schlagzeuger John Cowsill haut zum rockigen „409” breit grinsend in die Becken, Scott Totten, der von Love als „Musical Director” der Band vorgestellt wird, lässt bluesige Gitarrensoli hören. Auch er kann singen wie damals die Wilson-Brüder, von denen nur noch Brian am Leben ist. Mit „God Only Knows“ehren die Musiker den 1998 gestorbenen Carl Wilson.
Hier und da bekommt man einen Strahl der kalifornischen Sonne ab, wenn sich die „Good Vibrations” (1966) im Saal ausbreiten oder die ewigwährende Liebe zu einem amerikanischen Oldtimer in „Ballad Of Ole Betsy” mit einer wunderbar kitschigen Ballade im 50er-Jahre-Stil besungen wird („She may be rusted iron, but to me she’s solid gold”). Und nachdem die alten und jüngeren Hawaiihemdenträger am Bühnenrand verschwunden sind, bleibt ein Ohrwurm zurück („Do It Again”), der mehr von der Kraft der Lieder als der Bühnenpräsenz ihrer betagten Erfinder rührt.