Merkel mahnt die Autokonzerne
Bei der Eröffnung der Automesse IAA in Frankfurt kritisiert die Kanzlerin mit deutlichen Worten die Verfehlungen der Branche. Gleichzeitig nimmt sie die Industrie in Schutz – und verspricht Hilfe.
FRANKFURT Angela Merkel fordert von den Autokonzernen mehr Anstrengungen, um das Ansehen der Industrie wieder zu verbessern. Unternehmen hätten Verbraucher getäuscht und enttäuscht, sagte die Bundeskanzlerin bei der Eröffnung der Automesse IAA in Frankfurt. Dadurch sei viel Vertrauen zerstört worden. „Deshalb muss die Automobilindustrie alles daransetzen, Glaubwürdigkeit und Vertrauen so schnell wie möglich zurückzugewinnen“, sagte Merkel – „und zwar sowohl im eigenen Interesse und im Interesse ihrer Beschäftigten als auch im Interesse des gesamten Standortes Deutschland.“
Die Automobilindustrie ist die wichtigste Branche des Landes. Mehr als 870.000 Beschäftigte arbeiten bei Autoherstellern und Zulieferern. Die Unternehmen erwirtschaften einen Jahresumsatz von mehr als 400 Milliarden Euro. Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass die Bedeutung der Autoindustrie in den vergangenen zehn Jahren sogar noch gestiegen ist (siehe Info-Box).
Ein großer Teil der Umsätze in der Branche wird mit dem Diesel erzielt, viele Arbeitsplätze hängen von der Technologie ab. Der Abgasskandal bei VW und drohende Fahrverbote wegen erhöhter Schadstoffwerte haben das Vertrauen in die Technologie jedoch beschädigt. Der Chef des Automobilverbandes VDA, Matthias Wissmann, warb für eine differenzierte Betrachtung: „Die Luft in den deutschen Städten ist heute sauberer denn je und weit besser als in vielen Ländern der Welt.“
Auf der IAA kündigten dennoch zahlreiche Hersteller massive Investitionen in die Elektromobilität an. Die Volkswagen-Tochter Skoda gab bekannt, keine Dieselmotoren mehr in Kleinwagen wie dem Fabia verbauen zu wollen. Weitere Hersteller dürften folgen, weil sich die künftig aufwendigere und damit teurere Abgasreinigung von Dieselmotoren angesichts der Preise für Kleinwagen oft nicht mehr lohnt.
„Wir müssen heute die Weichen stellen, dass es in zehn oder 15 Jahren neue gute Arbeitsplätze gibt“, betonte Merkel, wohlwissend, dass sich die Parteien im Wahlkampf gerade gegenseitig mit Forderungen überbieten. So hatte sich SPDKanzlerkandidat Martin Schulz für eine Elektroauto-Quote starkgemacht, um mehr Fahrzeuge in den Markt zu bringen. Die FDP wieder- um stellte die Grenzwerte für die Luftqualität in den Städten infrage. Und die Grünen werfen den Chefs der deutschen Autokonzerne nun noch einmal in einem Brandbrief vor, entgegen ihren Ankündigungen weiter auf schwere Fahrzeuge mit hohem Kraftstoffverbrauch statt auf abgasfreie Autos zu setzen. „Massenmodelle, die Sie auf der IAA präsentieren und die demnächst die Autohäuser erreichen, sind nicht zukunftsfähig“, heißt es in dem Schreiben der Spitzenkandidaten Cem Özdemir und Katrin GöringEckardt an die Konzernchefs von VW, Daimler, BMW, Opel und Ford. „Sie machen der Welt auf der IAA ein Angebot, das die Klimaprobleme des Planeten verschärft, statt sie zu lösen“, so die Grünen.
Özdemir attackierte auch die große Koalition in Berlin. „CDU/CSU und SPD tragen mit ihrem verkehrspolitischen Zick-Zack-Kurs eine große Mitschuld an der Abhängigkeit der deutschen Autobauer von Benzin und Diesel“, sagte er unserer Redaktion. Leitartikel Seite A 2 Wirtschaft Seite B 1