Abgrund
Qué pasó?“, fragte Dieter den Koch. „No lo sé.“Sie schlüpften nacheinander durch die Kajütentür. Die Sonne war schon hinter Fernandina verschwunden und färbte die Wolken am La Cumbre orange-rot. Einen Moment starrte Hermann hinauf zum Vulkankrater. Es sah aus, als spiegele sich in den Wolken ein Höllenfeuer, das im Inneren des Berges brannte. Ein dramatischer Anblick.
Dann riss er sich los und spähte in Fahrtrichtung der Queen Mabel. Vielleicht hatte jemand von der Crew Wale entdeckt, dachte er. Hier zogen manchmal Orcas und Pottwale durch. Er hatte so gehofft, sie Anne zeigen zu können, bislang hatten die Meeressäuger sich aber rargemacht.
„Da habt ihr euern Ozean der Zukunft“, rief Alberto verächtlich, der zwischen zwei ebenfalls finster blickenden Besatzungsmitgliedern an der Reling lehnte. – Hermann blickte nach unten ins Wasser. „Oh nein“, stöhnte er. „Von diesen Glibberviechern habe ich für heute wirklich genug.“
Die Queen Mabel schwamm inmitten einer riesigen Quallenbank. Es waren rötliche Medusen, so groß wie ein Kinderkopf, die zuckend dicht an dicht im Wasser trieben. Tausende, Millionen, so weit das Auge reichte.
„Sie sind doch hübsch.“Alberto grinste. „Sei froh, dass es keine Japanischen Riesenquallen sind. Du kennst die Biester, Hermann? Zwei Meter Durchmesser . . . Stell dir vor, du müsstest runtertauchen und sie von der Schiffsschraube schneiden.“ Isla Santa Cruz, Puerto Ayora
Anne hatte nicht nach dem Schiff gesucht. Sie hatte nicht einmal mehr daran gedacht. Ohne auf die Zeit zu achten, hatte sie sich nach dem Mittagessen durch den Ort treiben lassen und stand jetzt schon seit einer Weile auf der Mole im Hafen und sah, auf das Holzgeländer gestützt, dem Treiben in der Academy Bay zu, den Fregattvögeln am Himmel, dem Kommen und Gehen der Touristenboote und den Blaufußtölpeln oder Boobies, die zwischen Wassertaxis, Ausflugsschiffen, Motorbooten und Segeljachten ihre halsbrecherischen Jagdmanöver durchführten. An diesen Vögeln und ihren Sturzflügen würde sie sich nie sattsehen können.
Eigentlich hätte sie sich liebend gern auf einer der überdachten Holzbänke niedergelassen, die, Rückenlehne an Rückenlehne, in der Mitte des Stegs standen. Sie war müde. Doch alle Bänke waren besetzt, meist von Einheimischen, die im Schatten dösten oder sich unterhielten, einige auch von Robben, die auf dem Bauch oder Rücken liegend ein Nickerchen machten. Anne schlug immer einen respektvollen Bogen um die Tiere – sie hießen sicher nicht ohne Grund Seelöwen. Gerade verfolgte sie, wie unter ihr ein großes Tier geschickt aus dem Wasser an Bord eines offenen schneeweißen Motorbootflitzers kletterte und sich auf den roten Sitzpolstern im Heck niederließ. Ein zweites Tier, das vorne auf dem Deck lag, zeigte keine Regung.
Schließlich fiel Annes Blick auf einen deutlich kleineren Steg, der gut fünfzig Meter entfernt war und wohl zur Polizeistation gehörte. Und dort, nur wenige Meter vom Ufer entfernt, entdeckte sie das verkohlte Wrack, das zwischen zwei Polizeibooten schief im Wasser lag. Sie vergewisserte sich mithilfe ihres Fernglases. Ja, das musste das Boot sein. Hoffentlich waren die beiden jungen Leute rechtzeitig ins Wasser gesprungen.
(Fortsetzung folgt)