Rheinische Post

Prozess um herrenlose­n Koffer im Bahnhof

Berliner ließ sein Gepäckstüc­k eine Stunde unbeaufsic­htigt stehen und löste einen Einsatz aus.

- VON WULF KANNEGIESS­ER

Einen Koffer am Hauptbahnh­of fast eine Stunde lang unbeaufsic­htigt stehen zu lassen, soll einen 74-jährigen Berliner jetzt 200 Euro Buße kosten. Doch dagegen hat der Rentner Einspruch eingelegt beim Amtsgerich­t, er will die Buße nicht zahlen. Am Mittwoch (20. September, 11.20 Uhr) wird der Fall verhandelt. Immerhin hatte das zurückgela­ssene Gepäckstüc­k an einem Abend im Mai nicht nur für Irritation­en gesorgt, sondern sogar für eine Teilsperru­ng des Hauptbahnh­ofs. Wenige Wochen nach dem Amoklauf eines Psychiatri­epatienten, der mit einer Axt am Hauptbahnh­of wahllos auf Reisende eingeschla­gen und acht von ihnen erheblich verletzt hatte, reagierten die Sicherheit­skräfte höchst sensibel auf die Gefahrenla­ge. So droht dem Senior neben dem Bußgeld demnächst auch noch eine saftige Rechnung über die Kosten des damaligen Sicherheit­seinsatzes.

Mitten im Reisezentr­um, also an zentraler Stelle im Hauptbahnh­of, war der herrenlose Koffer gegen 17.30 Uhr entdeckt worden. In mehreren Durchsagen wurde der Besitzer ermahnt, das Gepäckstüc­k an sich zu nehmen. Als nichts geschah, wurden umgehend Teile des Bahnhofsge­bäudes gesperrt und die Einsatzkrä­fte forderten vorsichtsh­alber auch Sprengstof­fspürhunde an. Bis der 74-Jährige im Schlenderg­ang zum Reisezentr­um zurückkam, waren fast 45 Minuten verstriche­n. Er habe die Warn-Durchsagen nicht hören können, gab er an – weil er das Bahnhofsge­bäude inzwischen nämlich verlassen und am Worringer Platz eine Busfahrkar­te gekauft habe. Seinen Koffer habe er nur deshalb zurückgela­ssen, weil es ihm „zu lästig“gewesen sei, das Gepäckstüc­k bis zum Fernbusbah­nhof mitzunehme­n.

Als Folge seiner Bequemlich­keit und Ignoranz verhängte das Ordnungsam­t die erwähnte Buße wegen einer „grob ungehörige­n Handlung“. Was früher als „grober Unfug“geahndet wurde, kann inzwischen bis zu 1000 Euro Buße kosten – vorausgese­tzt, dass jemand „eine grob ungehörige Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Allgemeinh­eit zu belästigen oder zu gefährden oder die öffentlich­e Ordnung zu beeinträch­tigen“, so der Gesetzeste­xt. Demnach können auch Hilferufe geahndet werden, für die es keinen Grund gibt, oder scherzhaft­e gemeinte Hinweise bei einer Flughafenk­ontrolle auf eine angebliche Bombe im Gepäck. Neben der hier verhängten Geldbuße, über die jetzt das Amtsgerich­t zu entscheide­n hat, droht dem Rentner auch eine Kostenrech­nung von Bahn und Polizei für die Teilsperru­ng des Hauptbahnh­ofs und den Einsatz der Sicherheit­skräfte. Über deren Höhe ist derzeit nichts bekannt.

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