Alles, was Recht ist
BERLIN 555, in Worten: fünfhundertfünfundfünzig. So viele Gesetze hat der Deutsche Bundestag in der abgelaufenen Legislaturperiode beschlossen. Das ist eine ganze Menge, und es klingt nach noch viel mehr, aber wenn man ehrlich ist, dann liegt die Zahl etwa im Schnitt der vergangenen 20 Jahre. Mal waren es ein paar Gesetze mehr, mal ein paar weniger. Von den 555 Gesetzen der Jahre 2013 bis 2017 beruhen 488 auf Entwürfen der Regierung. Und von den 488 Regierungsentwürfen stammen 95 aus dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Und genau hier beginnt das Übel: Es geht viel zu oft um Quantität, nicht um die Qualität.
In einem Aufsatz für die Zeitschrift „Recht und Politik“schreibt Justizminister Heiko Maas (SPD): „Damit liegen wir an der Spitze aller Ressorts und haben deutlich mehr Projekte verwirklicht als in der vorangegangenen schwarzgelben Regierungskoalition.“Gut regiert, wer viel macht? Man könnte es sich so einfach machen und wie die „Bild“-Zeitung schreiben: „Maas ist der fleißigste Minister.“Aber so einfach ist das nicht. Denn Gesetze sind kein Aktenstapel, den es abzuarbeiten gilt. Gesetze müssen sinnvoll sein, zum einen. Gesetze müssen zum anderen auch verhältnismäßig sein, wie der Jurist sagt, und etwa einen legitimen Zweck verfolgen. Und, vielleicht das Wichtigste: „Gesetze müssen einfach, verständlich und zielgenau ausgestaltet werden.“So haben SPD und Union es 2013 in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart.
Damit das gelingt, gibt es den Redaktionsstab Rechtssprache. Dabei handelt es sich um ein externes Team von Sprachwissenschaftlern und Juristen, deren Aufgabe es ist, Klarheit in die deutschen Gesetzbücher zu bringen. Seit 2009 arbeitet die Gruppe des Dienstleisters „Lex Lingua, Gesellschaft für Rechts- und Fachsprache“nun daran. Paragraf 42 Absatz 5 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien regelt, dass Gesetzentwürfe „grundsätzlich dem Redaktionsstab Rechtssprache zur Prüfung auf ihre sprachliche Richtigkeit und Verständlichkeit zuzuleiten“seien.
Doch nur etwa 60 Prozent der Vorschläge des Redaktionsstabes werden übernommen. Der komplizierte Kompromiss im Halbsatz ist manchem Ministerium lieber. Die klarsten deutschen Gesetze sind daher alt, viele davon findet man im Bürgerlichen Gesetzbuch aus dem Jahr 1896. Darin stehen Sätze von verblüffender Logik und von sprachlicher Feinheit, die ihresgleichen sucht. Der Jurist wird, jedenfalls beinahe, zum Lyriker. Heute ist das anders. Da wenden sich Menschen ab, wenn sie ein Gesetzbuch nur sehen. Es gilt ein einfacher Grundsatz: Je länger der Paragraf, desto neuer ist er. Beispiele aus dem Kabinett Merkel III: Netzwerkdurchsetzungsgesetz Dabei handelt es sich, verkürzt gesagt, um das Gesetz gegen Hasskommentare. Es war eines der bedeutendsten Vorhaben von Heiko Maas, das er am Ende gegen sehr viel Widerstand aus Politik, Bürgerschaft und Unternehmen durchgesetzt hat. Mit dem Gesetz sollen Firmen, die Internetplattformen anbieten (zum Beispiel Facebook), unter der Androhung von Geldstrafen dazu gebracht werden, Hasskommentare von Nutzern zu löschen. Unabhängig vom Inhalt ist das Gesetz sprachlich und auch juristisch eher zweifelhaft. Das fängt beim Namen an, unter dem man sich kaum etwas vorzustellen vermag, und es geht in den einzelnen Paragrafen weiter. In Paragraf 2 Absatz 3 Nummer 2 des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes heißt es: „Das Verfahren muss gewährleisten, dass der Anbieter des sozialen Netzwerks einen offensichtlich rechtswidrigen Inhalt innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde entfernt oder den Zugang zu ihm sperrt; dies gilt nicht, wenn das soziale Netzwerk mit der zuständigen Strafverfolgungsbehörde einen längeren Zeitraum für die Löschung oder Sperrung des offensichtlich rechtswidrigen Inhalts vereinbart hat.“Eigentlich geht es bloß um eine Frist – ein einfacher Sachverhalt wird kompliziert dargestellt, ein Klassiker von Gesetzen. Was die Rechtsspra