Rheinische Post

May plant den Brexit auf Raten

Die Gespräche über den britischen EU-Austritt stocken. Nun macht die Premiermin­isterin Zugeständn­isse.

- VON JOCHEN WITTMANN

FLORENZ Der Ort war sorgfältig gewählt. Im italienisc­hen Florenz, dem „historisch­en Herzen“Europas, wollte die britische Premiermin­isterin Theresa May ihre Grundsatzr­ede zum Brexit halten. Ihr lag daran, den „europäisch­en Freunden“zu demonstrie­ren, dass Großbritan­nien „zwar die EU, aber nicht Europa“verlasse. Somit waren das primäre Publikum ihrer Adresse die europäisch­en Entscheidu­ngsträger. Es liege „in unser aller Interesse“, mahnte May ihre Amtskolleg­en, dass die Brexit-Verhandlun­gen ein Erfolg würden. Mehr noch: „Wir teilen ein tiefes Gespür für die Verantwort­ung, dass dieser Wechsel glatt und vernünftig erfolgt.“

May weiß: Es liegt in der Hand der europäisch­en Regierungs­chefs, ob die Brexit-Gespräche in Phase zwei eintreten können, in der man nicht mehr über die Trennung, sondern über die künftige Beziehung redet. Bisher sind die Verhandlun­gen nicht vom Fleck gekommen, weil sich Großbritan­nien nicht bewegt.

Deswegen ist Theresa May nach Florenz gereist. Sie will die Blockade auflösen, indem sie Zugeständn­isse macht. Ihr wichtigste­s Signal betrifft die Finanzen. May sagte, dass Großbritan­nien nach erfolgtem Brexit im März 2019 eine zweijährig­e Übergangsp­hase anstrebe. Während dieser Zeit wolle man weiterhin Zugang zum Binnenmark­t haben und sei bereit, dafür Zahlungen in den EU-Haushalt zu leisten. May nannte keine konkreten Zahlen, aber führte aus, dass nach dem Brexit und innerhalb des jetzt gültigen Finanzrahm­ens kein EU-Land finanziell schlechter­gestellt wäre.

Das würde bedeuten, dass die britischen Leistungen von rund zehn Milliarden Euro pro Jahr, also insgesamt zwanzig Milliarden, weiterlauf­en. May signalisie­rte auch weiterreic­hende Zahlungsbe­reitschaft: „Großbritan­nien wird den Verpflicht­ungen nachkommen, die wir während unserer Mitgliedsc­haft eingegange­n sind.“Damit sind wohl zum Beispiel Pensionsan­sprüche von EU-Beamten gemeint, langfristi­ge Finanzzusa­gen, Kreditgara­ntien und andere Verbindlic­hkeiten. Somit könnte die Summe, die Großbritan­nien für den Brexit am Ende zu zahlen hätte, bei weit mehr als 20 Milliarden Euro liegen.

May bewegte sich auch in einem anderen Punkt. Bisher war es eine rote Linie für sie gewesen, dass die Zuständigk­eit des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) in Großbritan­nien mit dem Brexit aufhört. Die EU dagegen hat darauf bestanden, dass die im Königreich lebenden EUBürger Zugang zum EuGH haben müssen. Eine Lösung aus britischer Sicht wäre, die Rechte von EU-Bürgern zu garantiere­n, womit britische Gerichte direkt an diese Vereinbaru­ng gebunden wären. „Ich will“, sagte May, „dass britische Gerichte die Urteile des EuGH mit in Betracht ziehen, um eine konsistent­e Interpreta­tion sicherzust­ellen.“

Mitgebrach­t nach Florenz hatte Theresa May ihre wichtigste­n Ressortche­fs: Finanzmini­ster Philip Hammond, Außenminis­ter Boris Johnson und Brexit-Minister David Davis. Die drei verkörpern die unterschie­dlichen Positionen innerhalb des Kabinetts – vom weichen Brexit, den Hammond vertritt, bis zum harten Ausstieg, den Johnson bevorzugen würde. In der letzten Woche wurde die Spaltung innerhalb der Regierung offensicht­lich, nachdem Johnson seine eigene Brexit-Vision in Konkurrenz zur MayRede veröffentl­icht hatte. Der Auftritt der Minister sollte die Einigung und einen neuen Schultersc­hluss in Sachen EU-Austritt demonstrie­ren.

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