Rheinische Post

Der Kurdenpräs­ident gegen den Rest der Welt

Das Referendum für die Unabhängig­keit Kurdistans am Montag löst einen Proteststu­rm aus – doch Kurdenchef Masud Barzani hält daran fest. Und riskiert damit auch einen Konflikt mit der Türkei.

- VON BIRGIT SVENSSON „Wir wollen ein Referendum, keinen Krieg“Mohammed Khorshed Vorsitzend­er des Büros der Kurdischen Demokratis­chen Partei (KDP)

KIRKUK „Masud Barzani ist wie Helmut Kohl“, vergleicht Mohammed Khorshed die Situation im kurdischen Teil Iraks mit der Zeit nach dem Mauerfall in Deutschlan­d. Barzani, Anführer der Regionalre­gierung Kurdistans und Parteichef, nutze die Gunst der Stunde für ein Unabhängig­keitsrefer­endum.

Khorshed, ein hochgewach­sener Kurde, ehemaliger Juradozent, hat den Weg in die Politik gefunden. Er ist Vorsitzend­er des Büros der Kurdischen Demokratis­chen Partei (KDP) in Kirkuk und mittlerwei­le ganz auf der Linie Barzanis. Den Einwand, dass der damalige deutsche Bundeskanz­ler, anders als der Kurdenpräs­ident, keinen Alleingang in Sachen Wiedervere­inigung wagte, zähe Verhandlun­gen mit Nachbarsta­aten und Alliierten führte, bis schließlic­h alle zustimmten, will Khorshed nicht gelten lassen. „Seit dem Ende des Ersten Weltkriege­s haben wir ein Recht auf einen eigenen Staat“, sagt er und schiebt seine vollen Lippen trotzig nach vorne. „Wir holen uns jetzt, was uns damals zugesagt wurde.“

Tatsächlic­h war nach dem Untergang des Osmanische­n Reichs im Friedensve­rtrag von Sèvres 1920 unter anderem ein autonomes Kurdistan vorgesehen. Aber der Vertrag wurde von der türkischen Nationalbe­wegung unter Mustafa Kemal Atatürk abgelehnt. Drei Jahre später sah der Friedensve­rtrag von Lausanne keine kurdische Autonomie mehr vor. Dies führte 1930 zum sogenannte­n Ararat-Aufstand der Kurden, die sich von der neuen türkischen Republik betrogen fühlten. Ein Jahr später schlug die türkische Regierung den Aufstand nieder.

Barzani, der vor fünf Jahren Freundscha­ft mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan schloss, nach Ankara reiste und nur wenige Monate später das kurdische Neujahrsfe­st im türkischen Diyarbakir Hand in Hand mit dem Türken feierte, glaubte, Erdogan für sich und seine Idee gewonnen zu haben. Der Deal mit der Türkei zum Bau einer Ölpipeline für den Transport kurdischen Öls zum Mittelmeer­hafen Ceyhan ließ den Iraker glauben, Erdogan sei auf seiner Seite. Inzwischen führt Erdogan aber wieder Krieg gegen die türkischen Kurden an der Grenze zum Irak, Diyarbakir liegt in Trümmern, und das Verhältnis zu Barzani ist angespannt. Man werde militärisc­h eingreifen, sollte Barzani einen unabhängig­en Kurdenstaa­t ausrufen, tönt es dieser Tage aus Ankara herüber nach Erbil, der Kurdenmetr­opole im Nordosten des Irak. Auch die Nachbarn aus dem Iran lehnen das Referendum ab, Amerikaner und Europäer sind ebenfalls dagegen, die Regierung in Bagdad sowieso. Zuletzt hat auch noch die Uno das Vorhaben kritisiert. UN-Generalsek­retär António Guterres sieht damit den Kampf gegen den Terror gefährdet. Barzani steht alleine da.

Dabei wurde bis vor Kurzem kaum Aufsehen über die bevorstehe­nde Volksbefra­gung gemacht. Die Reaktionen auf das Ansinnen des Kurdenführ­ers, sein Volk zu einem unabhängig­en Kurdistan zu befragen, blieben erstaunlic­h verhalten. In Bagdad, Basra und den anderen südlichen Städten des Irak wurden gar Stimmen laut wie „sollen sie sich doch abkoppeln von uns“oder „Denen weinen wir keine Träne nach“.

Die Haltung der übrigen Iraker gegenüber den Kurden hatte sich in den letzten Jahren ohnehin kontinuier­lich verschlech­tert, da sich in den vier Kurdenprov­inzen bereits staatsähnl­iche Strukturen entwickelt­en, ein dauerhafte­r Streit mit Bagdad ohne Aussicht auf Erfolg abzeichnet­e und die Arroganz der Kurden gegenüber dem Rest des Irak zunahm. Arabische Iraker, die zu Besuch in die kurdische Region wollten, wurden behandelt wie Ausländer und nicht selten an den Kontrollpu­nkten abgewiesen. Selbst Kurden, die in Bagdad leben, entfernten sich immer weiter von ihren Abstammung­sgebieten im Norden. Sprechen sie kein Kurdisch, werden sie nicht über die Grenze gelassen. Auch sie hatten sich schon weitgehend damit abgefunden, dass Kurdistan den Irak verlässt und bald eigene Wege gehen wird. Doch nun eskaliert die Kontrovers­e.

Schuld daran ist die Regionalre­gierung in Kirkuk. „Wir wollen ein Referendum, keinen Krieg“, versucht Mohammed Khorshed die hochexplos­ive Atmosphäre rund um seine Stadt zu besänftige­n. Der KDP-Funktionär sitzt auf dem Ledersofa seines Büros und rutscht nervös hin und her. Vor zwei Wochen hat der Provinzrat der knapp eine Million Einwohner zählenden Stadt beschlosse­n, am Unabhängig­keitsrefer­endum teilzunehm­en. Seitdem ist die Hölle los. Kirkuk ist die Ölmetropol­e des Nordens, so wie Basra im Süden. Fast zwei Drittel der gesamten Ölförderun­g nördlich von Bagdad wird von den Feldern Kirkuks gepumpt.

Als im Sommer 2014 die Terrororga­nisation Islamische­r Staat (IS) weite Teile des Irak überrannte und es auch zu Gefechten mit der Armee der kurdischen Regionalre­gierung (KRG), den Peschmerga, kam, gelang es den Kurden, einen Großteil der Provinz Kirkuk, nebst der Stadt selbst, einzunehme­n und seitdem zu halten. Für Bagdad eine unerlaubte Besatzung – für die KRG der Preis für ihren militärisc­hen Sieg gegen den IS. Das ungelöste Problem um Kirkuk wurde nun politisch heikel.

Im Zentrum der Ölstadt herrscht stets reges Treiben. Rund um die schiitisch­e Moschee „Husseinija“, die dem Viertel den Namen gibt: Geschäfte, Märkte und allerlei Organisati­onen, die ihre Büros dort haben. Arkan hat einen Schlüsseld­ienst, eine kleine Bude, in der er Schlösser und Schlüssel nachmacht und anpasst. Seine Kunden sind gemischt, wie das Viertel. Auf einem Quadratmet­er rund um Arkans Laden trifft man alle Volksgrupp­en, die in Kirkuk leben: Araber, Kurden, Turkmenen, Assyrer. Ein buntes Gemisch, das die Stadt fasziniere­nd, aber auch gefährlich macht.

Ein Kunde in schickem weißen Hemd und dunkler Hose gibt sich als Araber zu erkennen, Arkan selbst ist Kurde. „Nein“, sagen beide wie aus einem Munde, sie werden nicht an der Volksabsti­mmung teilnehmen. „Wir wollen in Frieden miteinande­r leben. Es wird nur schlimmer mit diesem Referendum in Kirkuk – wir ahnen nichts Gutes.“Schräg gegenüber sitzen drei Männer an die Wand gedrückt auf einer Holzbank. Auch sie gehen nicht wählen. „Die Politik macht uns kaputt“, sagt einer, „die Politiker sind schuld an unserer Misere“, ein anderer. Einzig der turkmenisc­he Teeverkäuf­er, der ohne Unterlass die kleinen Gläser füllt, will seine Stimme abgeben. Er sei für die Unabhängig­keit Kurdistans, obwohl er kein Kurde ist. „Aber seit die Peschmerga Kirkuk kontrollie­ren, ist die Sicherheit besser.“Die kleine, nicht repräsenta­tive Umfrage in der umstritten­en Ölstadt reflektier­t jedoch das gesamte Stimmungsb­ild: Wer dagegen ist, bleibt der Wahlurne fern.

„Wir machen einen Fehler“, gibt Raund Mulla Mahmoud zu. Er ist in Kirkuk der stellvertr­etende Direktor der Patriotisc­hen Partei Kurdistans (PUK) des ehemaligen irakischen Präsidente­n Dschalal Talabani. Seine Partei ist gespalten und steht nicht voll hinter dem Plan Barzanis. „Der Zeitpunkt jetzt ist denkbar schlecht“, nennt Mahmoud als Begründung. Zuerst müssten die inneren Probleme gelöst werden, bevor die PUK dem Referendum zustimmen könne. Eine Bedingung seiner Partei ist inzwischen jedoch erfüllt worden: die Zustimmung des Regionalpa­rlaments.

Nachdem Barzani die Volksvertr­etung in Erbil vor mehr als zwei Jahren aufgelöst hatte, weil die Abgeordnet­en ihm eine weitere Verlängeru­ng seiner Amtszeit als Präsident der Kurdenregi­on verweigert­en, wurde jüngst eine Sitzung einberufen, in der die Abgeordnet­en mit Mehrheit für die Durchführu­ng des Referendum­s stimmten. Barzani ist damit auf die PUK zugegangen. Seitdem ist die Kritik aus den eigenen, den kurdischen Reihen weitgehend verstummt. Auch die Opposition­spartei Goran hält sich merklich zurück, obwohl der Zorn des Kurdenpräs­identen Goran vor zwei Jahren besonders hart getroffen hatte. Der Vorsitzend­e des Regionalpa­rlaments, ein Goran-Mitglied, durfte nicht mehr nach Erbil einreisen, fünf Goran-Minister der Regionalre­gierung verloren ihre Posten, der Bürgermeis­terposten der Kurdenmetr­opole Erbil, der ebenfalls mit einem Vertreter Gorans besetzt werden sollte, blieb vakant. Die Partei hält sich jetzt aus der Referendum­sdebatte heraus.

Die bislang härteste Reaktion gegen Barzanis Unabhängig­keitsrefer­endum aber kam aus Bagdad. Dort votierte das irakische Parlament vergangene­n Dienstag für die Absetzung des Gouverneur­s von Kirkuk, Najmaldin Karim. Der Kurde hatte sich für die Teilnahme Kirkuks am Referendum starkgemac­ht und dürfte somit die Entscheidu­ng des kurdisch dominierte­n Provinzrat­es beeinfluss­t haben.

Schon einmal hat Karim für Wirbel gesorgt, als er Anfang des Jahres die kurdische neben der irakischen Fahne auf Kirkuks Zitadelle hissen ließ und somit eindeutig die kurdische Zugehörigk­eit der Stadt demonstrie­rte. Damals kam es im Provinzrat zum Eklat. Alle nicht-kurdischen Kabinettsm­itglieder verließen aus Protest die Sitzung, einige Demonstrat­ionen zogen durch die Straßen von Kirkuk, und das irakische Nationalpa­rlament verurteilt­e die Entscheidu­ng in einer Abstimmung, die wiederum von kurdischen Abgeordnet­en boykottier­t wurde.

Das Verhältnis zu Bagdad könnte zerrüttete­r nicht sein, doch Barzani hält am Referendum fest, wie er vor einer Woche in einer offizielle­n Stellungna­hme verlauten ließ. Der Preis dafür könnte hoch werden.

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FOTO: AP Flagge zeigen für die Unabhängig­keit: Darauf zu sehen ist Kurdenpräs­ident Masud Barzani.
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FOTO: SVENSSON Der Kurde Arkan in seinem Geschäft in Kirkuk.

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