ÖKONOM Wählen gehen ist paradox
Der Wähler macht aus Sicht der Ökonomen dort sein Kreuz, wo er für sich den höchsten Nutzen sieht. Allerdings ist dafür der Aufwand des Wählengehens sehr hoch.
Demokratie ist eine idealistische Veranstaltung. Menschen tun sich zusammen, einigen sich auf eine Staatsverfassung und äußern in Wahlen einen gemeinsamen politischen Willen. Ökonomen misstrauen solchen idealistischen Annahmen. Sie betrachten den Wähler als nutzenmaximierende Person. Danach wählt jemand die Partei oder den Kandidaten, die oder der am ehesten den eigenen Interessen dient oder sich für die politischen Ideen des Wählers stark macht. Auf der anderen Seite der Kosten-Nutzen-Analyse steht der Aufwand der Informationsbeschaffung und der Akt des Wahlgangs. Den Grundstein für die ökonomische Theorie des Wahlverhaltens legte der US-Wissenschaftler Anthony Downs. Dennis Mueller, Gordon Tullock und James Buchanan entwickelten sie weiter.
Allerdings hat die an und für sich plausible Annahme des rationalen Wahlverhaltens einen entscheidenden Nachteil. Wenn der Wähler wirklich Kosten und Nutzen gegeneinander abwägt, dürfte er nicht wählen gehen. Denn die Wahrscheinlichkeit, bei einer Pattsituation unter 60 Millionen Wählern mit der eigenen Stimme den Ausschlag zu geben, ist praktisch Null. Es ist wahrscheinlicher, auf dem Weg zum Wahllokal vom Auto überfahren zu werden. Und wer riskiert schon sein Leben wegen einer Stimmabgabe?
Tatsächlich gingen 72 Prozent der Deutschen 2013 zur Wahl. Ähnlich viel dürften es am Sonntag sein. Ökonomen sprechen vom Wahlparadox, denn es entspricht nicht ihrer Lehre. Was bewegt also die Menschen? Downs nahm an, dass sie langfristig am Erhalt des Wahlrechts interessiert sind und deshalb trotz des geringen Einflusses wählen. Andere führen Pflichtgefühl oder doch wieder Idealismus als Beweggründe an. Ganz überzeugend ist keine der Thesen, wenn man den nutzenmaximierenden Wähler unterstellt. Wie dem auch sei, es zeigt, dass die Stimmenabgabe eine nicht selbstverständliche Sache ist. Ich werde freilich trotzdem wählen gehen.