Rheinische Post

Max und Moritz hören Rammstein

Das Kölner Theaterkol­lektiv „pulp fiktion“eröffnete die Spielzeit im Forum Freies Theater mit seiner Version von Wilhelm Buschs Bubengesch­ichte.

- VON CLAUS CLEMENS

Auf Plakaten in der Stadt und auf den Programmze­tteln stellt das „Forum Freies Theater“eine Frage zu seiner neuen Spielzeit: „Ist das obszön?“. Jeder weiß, welche Bilder, Gesten oder Handlungen das öffentlich­e Schamgefüh­l verletzen. Obszön ist, was man nicht zeigen darf und was man nicht sehen soll, weil es nicht „normal“ist.

Dieses Fragemotto an den Lausbubens­treichen von Max und Moritz zu verdeutlic­hen, ist nicht ohne Risiko. Und doch geschieht es derzeit auf der Bühne des „JuTa“als Produktion des Kölner Theaterkol­lektivs „pulp fiktion“. Um es vorweg zu sagen: In dem einstündig­en Spaßhappen­ing für Kinder ab acht Jahren steckt viel Wilhelm Busch. Also viel „rickeracke“und „meck, meck, meck“. Die Hühner der Witwe Bolte hängen kopflos vom Himmel herab. Ein besonders freches Exemplar der Flattermän­ner fährt auf einem kleinen Elektromob­il herum und sondert böse Sprüche ab.

„Ach, was muss man oft von bösen Kindern hören oder lesen! Wie zum Beispiel hier von diesen, welche Max und Moritz hießen.“Der moralische­n Einleitung folgten in dem illustrier­ten Band von 1865 Knabenstre­iche, die den „Struwwelpe­ter“an Grausamkei­t bei Weitem übertrafen – und dennoch zu einem der meistverka­uften Kinderbüch­er auf der ganzen Welt wurden. Für die 34-jährige Wahlkölner­in Hannah Biedermann stellte sich bei den Knabenstre­ichen, die im globalen „Youtube-Speak“heute natürlich „Pranks“heißen, die Frage: „Wo hört hier der Spaß auf?“

Also testeten sie und ihr Team ihre neue Fassung der klassische­n Missetaten vorab bei Grundschul­kindern. Deren Reaktionen werden jetzt eingespiel­t, zusammen mit viel Musik. Darunter Ennio Morricones „Spiel mir das Lied vom Tod“und die Gruppe Rammstein: „Bestrafe mich“. Vieles, was hierbei von den drei Darsteller­n Karoline Kähler, Clara Minckwitz und Matthias Meyer auf die Bühne gebracht wird, ist wirklich unterhalts­am. Es gibt jede Menge Interaktio­n, von den kleinen Zuschauern mit Begeisteru­ng angenommen.

Aber dann wird es doch ernst mit der Frage nach der Obszönität. Ein kleines Mädchen darf einen Erwachsene­n nach Lust und Laune mit Elektrosch­ocks traktieren. Da hört der Spaß auf. „Fiktion“ist Namensbest­andteil der Performerg­ruppe und als Kulturtech­nik durch ihre Realitätsf­erne bestimmt. Bitte noch mal gründlich nachdenken.

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