NRW will Entschädigung für Opfer-Angehörige
Neuerdings erhalten Hinterbliebene getöteter Menschen eine Entschädigung. NRW-Justizminister Peter Biesenbach will, dass es auch bei anderen Verbrechen Geld für Angehörige gibt, weil sie mitleiden.
DÜSSELDORF NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) fordert in deutlich mehr Fällen Schmerzensgeld für die Angehörigen der Opfer von Straftaten. „Wer ertragen muss, seinem eigenen Kind beim Leiden zuzusehen, ist für mich genauso Opfer der Straftat wie das Kind selbst“, sagte Biesenbach unserer Redaktion und kündigte an: „Ich werde auf der nächsten Justizministerkonferenz im November für breite Unterstützung einer entsprechenden Bundesratsinitiative werben.“
Erst im Juli dieses Jahres hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld in das Bürgerliche Recht verabschiedet. Im Fall der fremdverursachten Tötung haben jetzt auch Hinterbliebene – unabhängig vom Nachweis einer medizinisch fassbaren Beeinträchtigung – einen Anspruch gegen den Täter auf Entschädigung.
Biesenbach geht das nicht weit genug. Der NRW-Justizminister möchte, dass die Angehörigen der Opfer von Straftaten nicht nur bei Tötungsdelikten Ansprüche geltend machen können. Aus seiner Sicht leiden die Angehörigen von Opfern, die lebenslange Beeinträchtigungen wie zum Beispiel eine Querschnittslähmung oder eine brutale Vergewaltigung erlitten haben, ebenfalls stark unter den Folgen der Tat. Biesenbach: „Dieses Leid wird derzeit nicht angemessen rechtlich behandelt. Die Rechtsordnung lässt Angehörige von Opfern schwerster Verbrechen außer Betracht, wenn das Opfer überlebt.“
Biesenbach hält für die Angehörigen sogar Schmerzensgelder in gleicher Höhe wie für das Opfer für möglich. „Wer will behaupten, dass das Leiden der Mutter eines durch eine Straftat erblindeten Kindes kleiner als das des Kindes selbst wäre“, so der Justizminister. Nach Angaben des NRW-Justizministeriums wurden in NRW im vergangenen Jahr allein 2000 Personen Opfer von Sexualdelikten.
Für eine Vergewaltigung können dem Opfer bis zu 100.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen werden – und, geht es nach Biesenbach, künftig auch den Angehörigen. Einschlägigen juristischen Tabellen zufolge müssen Täter bei der Totalerblindung ihres Opfers mit einem Schmerzensgeld von 256.000 Euro rechnen, Mobbing-Opfer bekommen nicht selten fünfstellige Summen. Für eine Totallähmung infolge einer schweren Körperverletzung sprach ein Gericht dem Opfer schon 150.000 Euro zu, für eine in der Folge notwendige OberarmAmputation 75.000 Euro.
Dass die Täter den Angehörigen ihrer Opfer ähnliche Summen zahlen sollten, ist für Biesenbach auch ein grundsätzliches Gebot: „Die Frage, wem wir Schmerzensgeld zusprechen wollen, ist auch eine Entscheidung für die Werte unserer Gemeinschaft.“
Für seine Initiative erhält Biesenbach breite Unterstützung. „Wir brauchen mehr Unterstützung für Angehörige von Straftat-Opfern“, sagte der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP). Er meint, dass es eine „größere Sensibilität gerade gegenüber seelischen Leiden von Angehörigen“geben müsse. „Dafür muss es dann auch angemessene Schmerzensgelder geben.“
Dies sieht auch der Opferhilfeverein Weißer Ring so. Die renommierte Organisation begrüßt die Initiative Biesenbachs. Das erklärte eine Sprecherin. Dabei schlägt der Weiße Ring schon länger ein „Trauerschmerzensgeld“für Angehörige vor, das bei einer Vielzahl von Straftaten gezahlt werden soll: „Dass die Ehefrau eines schwer verletzten, lebenslang pflegebedürftigen Polizeibeamten durch die Gewalttat seelisch außerordentlich belastet ist und ihre Lebensperspektiven unter Umständen völlig zerstört sind, führt nach unserem Recht nicht zu einem Anspruch auf Schmerzensgeld. Dabei sollte es nicht bleiben.“
Auch Opferanwälte halten den Vorschlag von Biesenbach für vernünftig. „Bei Verkehrsunfällen mit Fahrerflucht leiden die Frauen und Kinder der Schwerverletzten häufig fast ebenso wie das Opfer selbst“, sagte der Mönchengladbacher Anwalt Christof Wellens.
Sein Düsseldorfer Kollege Julius Reiter erklärte, eine Gesetzesänderung könne auch helfen, die Folgen von Katastrophen wie bei Love-Parade zu bewältigen: „Wir betreuen in unserer Kanzlei viele Menschen, die wegen der damaligen Ereignisse schwer traumatisiert sind. Wenn deren Angehörige nachweisbar auch betroffen sind, sollte man dies berücksichtigen.“